Fährst du immer mal wieder alleine auf Aktionen und fragst dich, wie du Gleichgesinnte aus deiner Stadt finden kannst, mit denen du einen kontinuierlichen Zusammenhang aufbauen kannst? In diesem Kapitel geht es um die Frage: „Wie kannst du / könnt ihr eine passende Gruppe finden?” Vorweg: es gibt zum Glück nicht den einen Weg, wie eine Bezugsgruppe entsteht. Viele Bezugsgruppen sind aus WGs oder offenen Politzusammenhängen entstanden. Aber es können auch einfach Freundeskreise, Schüler*innen die sich kennen, Studis/Arbeitskolleg*innen, die merken, dass sie ja eh immer auf die gleichen Demos rennen, oder oder oder sein. Des Öfteren gibt es auf größeren Aktionen oder bei der Vorbereitung darauf Aktionstrainings, bei denen du Leute aus deiner Stadt kennenlernen kannst.
Du kannst dich erst mal in deinem Freundeskreis umhören, ob noch wer zu dieser Aktion fahren möchte. Falls ja, solltet ihr klären, was euch bewegt dorthin zu fahren, was ihr für Ideen habt und was jede*r von euch dort tun möchte. Denn als erstes müsst ihr herausfinden, ob das zusammenpasst. Wenn euch bei dem Treffen klar wird, dass ihr ganz unterschiedliche Ideen habt, z.B. von „ich will da zur Demo“ bis „ich will da Camp-Struktur machen“, ist das nicht die beste Voraussetzung. Es bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass es gar nicht funktionieren kann. Vielleicht kommt ihr doch zusammen und könnt ein Konzept entwickeln, in dem sich alle wiederfinden. Außerdem ist es gut sich die Frage zu stellen: wieso will ich das und nicht jenes machen? Dadurch kann sich evtl. der Blickwinkel ändern und ihr könnt euch auch für anderes öffnen.
Sich vorbereiten
Wenn sich dann bei euch das Gefühl eingestellt hat, dass es passend scheint, ist es sinnvoll, wenn ihr euch regelmäßig trefft. Wie oft, ist natürlich eure Sache. Das kann von sich-wöchentlich-treffen bis sich-im-Vorfeld-zweimal-ein-langes-Wochenende-nehmen sein. Das ist auch davon abhängig, was ihr vorhabt und wie gut ihr euch kennt. Aber lieber etwas zu oft treffen, als dass es nachher dann heißt „Wir hatten gar keine Zeit, das zu besprechen.“
Und so sind wir auch beim wichtigsten Werkzeug! Reden und Zuhören. Das klingt so schön banal, und irgendwie ist es das auch. Einige Gruppen fangen ihre Treffen mit einer „wie geht es mir gerade/Emo-Runde“ (→ Glossar) an. Das ist eine kurze Runde zum Stand der persönlichen Dinge. Dabei muss nicht jede*r was sagen, aber es kann auch ein Ort während des Treffens sein, um sagen zu können, warum wer von euch gute oder schlechte Laune hat, was ihr/ihm vom letzten Mal noch im Magen liegt oder was er/sie gerne einfach Allen mitteilen möchte. Danach könnt ihr vielleicht besser verstehen, warum XY in der Diskussion schnell gereizt ist oder auch alles total leicht sieht, da eh alles gerade bei XX gut läuft.
Miteinander reden – und wie?
Um mit dem Werkzeug „Reden und Zuhören“ gut umgehen zu können, braucht es meistens viel Übung. Klar hat jede*r eine Stimme und kann irgendwie zuhören, aber die einen können gut reden (manchmal auch ohne wirklich etwas zu sagen) und die anderen hören das, was sie möchten. Das klingt ziemlich böse und wollen wir auch erst mal keiner*m unterstellen! Oft sind es soziale und gesellschaftliche Rollen, die wir so gelernt haben: in der Schule, als Kind, in der Beziehung zu Freund*innen oder auf der Arbeit.
Aber das ist durchaus veränderbar. Es ist Teil unserer Utopie, dass wir als Menschen innerhalb einer Gruppe wachsen und uns gegenseitig weiterbringen. Dafür muss mit den gesellschaftlichen Rollen auch umgegangen werden – in diesem Fall mit dem jeweiligen Redeverhalten. Es ist gut sich darüber einmal Gedanken zu machen: wer fällt wem ins Wort, wie kann dafür gesorgt werden, dass Alle was zum gerade anstehenden Thema sagen, warum muss ich selbst immer so lange reden…
Das Thema ist sehr komplex und hat viele Seiten. Aber es ist gut, sich zumindest auf Basics zu einigen wie: ausreden lassen und/oder bei kontroversen Diskussionen jede*n zu Wort kommen zu lassen. Auch stummes Kommentieren, z.B. immer nicken, wenn die Beziehung was sagt, immer was in die Hand nehmen und lesen, wenn wer anders was sagt, sind Formen von Dominanz.
Ablauf der Treffen
Wie ihr das/die Treffen gestaltet, ist ganz eure Sache. Ihr müsst einfach sehen, wie strukturiert ihr es braucht. Ob es ohne Redeleitung oder Tagesordnung geht, hängt oft von der Gruppengröße ab und davon was ihr machen wollt – aber es ist gut auch mal zu experimentieren. In Bezugsgruppen ist es unserer Meinung nach wichtig im Konsens zu entscheiden, was nicht heißt, dass immer alles bis ins letzte ausdiskutiert wird und dass jede Person alles richtig finden muss.
Innerhalb der Bezugsgruppe sollte ein Großteil beschlossen werden und die Anderen sollten damit einverstanden sein. Falls wer vom Vetorecht Gebrauch macht, muss das zu Gehör kommen und ein Umgang damit gefunden werden. Sich innerhalb einer Bezugsgruppe an der Mehrheitsentscheidung zu orientieren, wenn eine Person damit Bauchschmerzen hat, hat nichts mit gleichberechtigter Beteiligung zu tun. Und auch mit dem Recht ein Veto einzulegen sollte bewusst umgegangen werden. (Zu Entscheidungsfindungsprozessen gibt es in dem Heft auch noch extra Tipps.)
Oft wird in Bezugsgruppen über Quotierungen geredet. Quotierte Redelisten können ein Instrument sein, um strukturelle Machtverhältnisse sichtbar zu machen und im besten Fall abzumildern. Meistens geht es bei der Frage von Quotierungen um das Redeverhältnis von Männern* und Frauen*. Durch eine quotierte Redeliste kann besonders in größeren Diskussionszusammenhängen eine Sensibilisierung für die in der Gruppe bestehenden Machtverhältnisse in Bezug auf die Kategorie Geschlecht erreicht werden. Leider wird dadurch aber auch eine Zweigeschlechtlichkeit festgeschrieben. Außerdem ist Geschlecht nur eines von vielen Machtverhältnissen. (Es gibt bei der Bäuer*innen-Organisation La Vía Campesina beispielsweise auch eine Quotierung nach Alter, um jüngeren Menschen mehr Platz in der Diskussion zu geben.) Eine Quotierung hat also Vor- und Nachteile. Ob dieses Instrument sinnvoll ist, kommt auf den Diskussionszusammenhang an.