+++Hier liegt begraben: Politgruppe XY. Am eigenen Anspruch zerbrochen.+++
Was bedeutet(en) mir meine Politgruppe(n)? Ein Freundeskreis und Kuschelkasten? Die Rote Zelle auf revolutionärem Weg? Eine Diskussionsplattform und politischer Austausch? Soviel Mitglieder eine Gruppe zählt, soviel Motivationen, Träume, Wünsche und Ansprüche zählt sie potentiell. Wie soll dieser überindividualisierte Haufen wohl einen gemeinsamen Nenner finden? Klar, da ist am Anfang wahrscheinlich eine grobe politische Richtung, vielleicht auch ein Konsens über die Aktionsform. Eben der gemeinsame Wille, etwas zu tun. An diesem Etwas nicht zu scheitern, ist aber bereits die erste Hürde. Eine gemeinsame Aktion, ein fein ausgetüftelter Plan scheint als Bindeglied fungieren zu können. Das Realisieren eines tollen Planes, einer fixen Idee schweißt zusammen, die Vorstellung einer erfolgreichen Aktion gleich nochmal mehr. Aber bleibt da, selbst wenn die Aktion dann tatsächlich erfolgreich war, nicht auch Leere? Ein sich verlassen fühlen? Ohnmacht? „Was können wir schon erreichen?“ – scheint die immer wieder drängende Frage.
Und was wurde aus all den „erfolglosen“ Aktionen? Die Abschiebung konnte nicht gestoppt werden, die Nazidemo konnte ungehindert laufen. All die lange vorbereiteten und gut geplanten Aktionen, die sich dann samt Material irgendwo verliefen? Verlief sich mit ihnen auch die Gruppe? Zerstreuten sich die Aktivist*innen in alle Winde? Suchten sie einzeln Zuflucht unterm Deckmantel neuer Gruppen? Waren sie erfolglos und stürzten sich in Lohnarbeit, Familienplanung oder Karriere? War die Aktion, über die nichts in der Zeitung stand, erfolglos?
Jung, schön und erfolgreich?
Wir sollten unseren Erfolg und unsere Stärke nicht nur an gelungenen Aktionen messen. Was bedeutet denn zum Beispiel eine Aktion, die von einer einzelnen Person vorbereitet wurde, die dann die anderen Mitspieler*innen kommandiert? Vielleicht ist sie effektiver, vielleicht sind ihre Erfolgsaussichten größer, aber was genau ist für uns „Erfolg“ in diesem Kontext?
Wir wollen etwas erreichen, wollen, dass unsere Bemühungen nicht ins Leere laufen. Doch woran messen wir das? An der gesprengten Knastmauer? Am gestoppten Atomtransport? Was ist das Ziel? Die Veränderung der Gesellschaft? Des Systems? Bewusstseinswandel überhaupt? Mögliche Antworten auf diese gigantischen Fragen gibt es wie Sand am Meer. Die Antworten rieseln uns durch die Hand wie trockener Sand. So richtig greifbar sind sie nicht. Aber sie geben Hinweise darauf, in welche Richtung wir gehen wollen. Das Ziel steht all zu oft im Weg. Doch was ist der Weg? Wo führt er uns lang? Wo führt er uns hin?
Zusammen Druck machen
Der Aushandlungsprozess des gemeinschaftlichen Lebens unter Berücksichtigung all unserer Antis scheint ein solcher Weg zu sein. Wir sind queer, antisexistisch oder/und antikapitalistisch und haben viele verschiedene Vorstellungen davon, was das konkret bedeutet. Wie stellen wir uns ein gutes, freies Leben vor, ein widerständiges Leben im Alltag? Mühsam und steinig sind die Auseinandersetzungen und Plena, oft gibt es stundenlange Diskussionen, oft scheinen sie zu allem Überfluss auch noch ergebnislos zu bleiben. Es kann eine*n verrückt machen. Wir wollen doch was erreichen, wollen handlungsfähig sein!
Gegenseitige Vorwürfe entstehen, die Verantwortlichen scheinen leicht ausgemacht: „Warum hältst du uns mit deinen Bedenken und Ängsten auf? Warum weißt du nicht Bescheid, was die G20 für Dreck am Stecken haben? Warum warst du nicht auf dem Plenum? Warum bist du nicht zur Demo mitgekommen? Was, du hast die Flyer nicht kopiert? Warum trittst du den Bullen nicht gegen’s Schienbein? Warum? Warum? Warum?“
Soviel gibt es zu tun, soviel zu machen. Das Leben ist eine riesige Baustelle. Überall brennt es, überall sind wir gefragt. Wer wundert sich da noch über Leistungsdruck – selbst in der kuscheligen Bezugsgruppe, in der politischen WG? Wie viele von uns sind an ihm schon zerbrochen? Haben sich einsam und unverstanden gefühlt und träumten heimlich von einer Einraumwohnung, in der sie sich verkriechen können? Wo sind die Zeiten, in denen wir mal einfach nur in den Tag hinein leben können? Nicht immer noch fünf offene Punkte auf der To Do-Liste zu haben, wenn wir nachts ins Bett gehen. Stress und Überlastung ruft eine vage Sehnsucht wach. Eine Sehnsucht nach einem Leben ohne Leistungsdruck. Leistungsdruck, den wir uns auch selber auferlegen. Jede*r von uns.
Großer Sprung? Kleine Schritte?
Wir wollen etwas erreichen, auf die Reihe bekommen. Der Blick auf die kleinen Schritte, auf die schwer fassbaren Erfolge ist dabei enorm eingeschränkt. Auch sie rieseln uns durch die Hände, scheinen so selbstverständlich und sind doch so bewundernswert groß. Wir können nur aus diesem Leistungsdruck ausbrechen, wenn wir ihn wahrnehmen, ihn thematisieren und um Hilfe bitten können. Dazu gehört auch ein Blick für die Anderen, ein Sensibel-sein und Zuhören-können. Stress-machen ist in diesem Zusammenhang zerstörerisch. Tod der Politgruppe XY, weil einzelne von uns nicht Schritt halten können und wollen mit dem Tempo des Erfolgswahns. Ende eines Weges, der zum Ziel führen soll. Wie das Ziel konkret aussehen soll, werden wir noch nächtelang diskutieren. Auch das ist der Weg. Aber ein Ziel, welchem wir unsere Bedürfnisse und Träume unterordnen müssen, eine Kollektivität, in der Leistungsdruck herrscht – das ist garantiert nicht das, wofür wir kämpfen. Wenn wir die Entscheidung gefällt haben gemeinsam zu kämpfen, zu leben, lieben, arbeiten, dann werden wir auch mit überzogenen Ansprüchen, Erwartungshaltungen und Leistungsdruck fertig. Nur: Wir müssen etwas gemeinsam wollen!
Anmerkung: Der nächste Teil zum Thema Burn out soll nicht zu schwer gewichtet werden. Wir fanden es aber wichtig, dieses Thema zu benennen und darauf aufmerksam zu machen, da es doch hin und wieder mal vorkommt.