„Eine Bezugsgruppe aus Berlin“ – so haben wir in den letzten Jahren einige Texte unterschrieben. Schon lange wohnen viele von uns nicht mehr in der Metropole, uns hat es verstreut: Die einen verausgaben sich mit ihren Kindern, Lohnarbeit und Alltagsorganisation, die nächsten mit ihren Polit- und Gemeinschaftsprojekten oder der allgemeinen Sinnsuche. Und doch: Träumen wir nicht alle immer wieder davon nach den Sternen zu greifen? Und wissen wir nicht alle ganz schön gut, dass wir das gemeinsam am allerbesten können?
Zum Jahresbeginn gönnen wir uns regelmäßig eine Art persönliche „Bezugsgruppenstrategiekonferenz“ – ein Wochenende im ländlichen Raum und die Frage „Wohin mit uns im kommenden Jahr?“ Anfang zwanzig war das Aktivist*innenleben noch einfacher: Da waren wir mit Betonpyramiden und Co zum Castorspektakel halbwegs zufrieden. Doch jetzt? Sind die gesellschaftlichen Zustände komplexer geworden oder wir und unsere Ansprüche? Wir wissen inzwischen auch, welchen Sack voll Arbeit eine Entscheidung für ein bestimmtes Projekt in der Regel mit sich bringt… So sind wir vorsichtiger geworden uns „einfach so“ irgendwo reinzuschmeißen. An Ideen, wo wir eigentlich intervenieren müssten, mangelt es nicht. Unsere Diskussionen werden getrieben von der Sehnsucht nach der mitreißenden Aktionsidee, wir müssen es ja erstmal schaffen uns selber zum Schwingen zu bringen – kein leichtes Unterfangen mit so viel Skeptiker*innen in der Runde! Doch gesetzt den Fall irgendetwas hält in unserer Reihe der Kritik stand, dann können wir eigentlich davon ausgehen, dass die Idee zu etwas taugt!
Ein kollektiv betriebener politischer Landgasthof kann sich seit ein, zwei Jahren vor lauter Hochzeitsanfragen kaum retten. Zahlreiche linke Aktivist*innenpärchen wollen hier in gediegener „Aussteiger*innen-Atmosphäre“ heiraten, obwohl auch sie vor ein paar Jahren vermutlich noch starke Kritik an der staatlichen Institution Ehe hatten. Die Ehe wurde ursprünglich geschaffen als eine Institution, die der Organisation der Gesellschaft dienen sollte (was sie ja auch bis heute tut). Doch hey, ist die Besinnung auf die Zweisamkeit tatsächlich das, wie wir uns organisieren wollen? Sicherlich nicht! Statt staatlich legitimierter Eheschließungen bilden wir Banden und geben uns dort das Ja-Wort! Das wär was! So leicht zwingt uns kein Staat in sein Korsett!
Es waren die Castor-Jahre im Wendland, die uns als Bezugsgruppe zusammengeschweißt haben. Ein paar mehr oder weniger erfolgreiche Aktionen als Freund*innenkreis in einem mitreißenden Beat mit zumeist hohem Spaßfaktor. Ja, natürlich auch Enttäuschungen und die Erkenntnis, irgendwann waren wir fast alle mal dran, dass wir nicht unbedingt die Kuschel-Bezugsgruppe sind, die gut aufeinander aufpasst, wenn es irgendwem mal nicht so rosig geht. In dieser Erkenntnis wirken wir inzwischen fast reif: Das Wissen darum, für was wir als Zusammenhang taugen und für was wir definitiv nicht taugen!
Einige sind in den vergangenen Jahren zu uns gestoßen, andere sind uns auf dem Weg verloren gegangen, aber gleichzeitig ist es auch ein permanentes Verlieren und Wiederfinden – Wege verlaufen und kreuzen sich wieder. Weil es einen Kern gibt, der irgendwie am Leben bleibt, können wir uns abwechseln im „mal Abtauchen“.
Bündnisarbeit und Bezugsgruppe
Nach den Bezugsgruppenaktionen in unseren frühen Zwanzigern ging es relativ fix in Richtung Bündnisarbeit mit uns: Block G8, Antira- und Klimacamp HH, COP 15, Castor Schottern und Ende Gelände. Nicht dass wir immer alle gleichermaßen stark in die Bündnisarbeit involviert waren, das Tolle an unserem Zusammenhang ist: Ich kann irgendwo auftauchen und habe das Gefühl, eine Gruppe im Rücken zu haben. In der Gruppe lassen sich, wenn es darauf ankommt, leicht Arbeiten delegieren. Die Gruppe dient für die politische Analyse und Strategieentwicklung, sie ist ein kleines Korrektiv bevor ich mich in irgendetwas verrenne und sie wäscht mir den Kopf, wenn ich mich verrannt habe.
Ja, wir haben inzwischen ein paar Jahre Bewegungsgeschichte auf dem Buckel und so manch eine Erfahrung gesammelt – unsere innere Ungeduld ähnelt allerdings der vor 15 Jahren enorm. Vielleicht ist der Satz „Hier müssten wir aktiv werden!“ einer unserer häufigsten – auf jeden Fall ist er unser wichtigster Motor. Schnell haben wir dann ein Ziel vor Augen und eine Idee entwickelt zu dem „Wie kann es gehen?“ Zumeist sind wir dabei auf große Zusammenhänge angewiesen, Bündnisse eben… Und Bündnisarbeit heißt Prozessarbeit, angefeuert von einer gemeinsamen Idee! Doch wohin mit unserer Ungeduld? Schon immer haben wir uns viel über die Frage Ergebnis- oder Prozessorientierung in Kontroversen befunden: intern wie extern. In den Bündnissen der letzten Jahre haben wir es oft vermisst, dass dort noch viel mehr Menschen sitzen, die eine Bezugsgruppe im Rücken haben. Bündnisarbeit macht doch genau an der Stelle am allermeisten Sinn, wenn es nicht ein Bündnis aus Einzelpersonen ist, sondern wenn funktionsfähige Bezugsgruppen dahinter stehen. Viele Diskussionen hätten wir definitiv abkürzen können, wenn an ihnen zuvor innerhalb der Bezugsgruppen schon viel mehr dran gefeilt worden wäre. Das gilt auch für die Diskussionen in den Arbeitsgruppen.
Alle Menschen, die schon mal die Erfahrung machen durften zu erleben, wie toll es ist, Teil einer Bezugsgruppe zu sein und dann als Einzelperson (oder im Tandem) in einer Arbeitsgruppe mitzuwirken, werden sicherlich dem Credo zustimmen: Organisiert euch in Bezugsgruppen! Nicht nur für die konkreten Aktionen, sondern auch für sämtliche Organisierungsprozesse drumherum! Arbeitsgruppen kommen und gehen, doch die Bezugsgruppe bleibt!
In den letzten Jahren gab es immer mal wieder die Kritik, dass wir uns als Bezugsgruppe nicht so transparent präsentiert hätten und dass wir zu meinungsstark wären. Es gab Manipulations- und Dominanzvorwürfe. Aber vielleicht wäre das ganz anders gelaufen, wenn es noch viel mehr Menschen geben würde, die sich in starken, stabilen Bezugsgruppen zusammenschließen und gemeinsam (er)wachsen werden würden? Ja, sich vielleicht sogar als Bezugsgruppen „vermählen“ würden? Die Bezugsgruppe ist die beste Medizin, um in den Fängen des Alttags nicht unterzugehen und die Utopien der Jugend nicht aus dem Auge zu verlieren. Gemeinsam bleiben wir wach, können uns immer wieder gemeinsam anstacheln und mitreißen. Wir wollen alle gerne eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage geben können: Und was ist aus deinen politischen Idealen geworden? Dafür braucht es aber einen Zusammenhang, in dem mir diese Frage regelmäßig gestellt wird! Und einmal einen solchen Zusammenhang gefunden, dann gilt es, ihn nicht so schnell wieder laufen zulassen! Ich werde meiner Gruppe einen Heiratsantrag stellen!