24. Antisexistische Awareness

An dieser Stelle geht es um Sexismus, aber in unserer Gesellschaft sind noch viel mehr Unterdrückungsmechanismen und Dominanzstrukturen wirksam, die auch in Bezugsgruppen wirksam sind. Du bist nicht weiß? Dein Geschlecht ist nicht eindeutig erkennbar? Du hast keinen akademischen Hintergrund? Du bist „zu jung“ oder „zu alt“? Die christlichen Feiertage sind dir fremd? Du hast gesundheitliche oder körperliche Einschränkungen? Dann kennst du wahrscheinlich Ausgrenzung, Gefühle wie Ohnmacht oder fehlende Handlungsmöglichkeiten. Awareness meint Achtsamkeit gegenüber jeglicher Diskriminierung. Wer Gefühle wie Ohnmacht, Scham, Schweigen o.ä. kennt, weiß wie verletzend und zerstörerisch Unterdrückungsmechanismen wirken. Lasst uns gemeinsam und solidarisch gegen jede Ausgrenzung kämpfen und lasst uns aneinander wachsen.
Im folgenden Text geht es um Sexismus als Ausgrenzungsstruktur.

Antisexistische Awareness
Wenn wir uns in Kleingruppen organisieren oder auch bei größeren Aktionen oder Netzwerken mitmachen, spielt Sexismus im Umgang miteinander immer mal wieder eine Rolle. Wie damit umgehen? Was können wir tun, um Sexismus abzubauen? Hier ein paar Ideen und Tipps dazu, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. Anregungen, Kritik, Ideen dazu immer gerne willkommen in einem Medium eurer Wahl
→ siehe Gegenöffentlichkeit.

Geschlechterverhältnisse
Pronomen, Gender:
Es gibt nicht nur Männer* und Frauen*, das ist mittlerweile bekannt und jetzt sogar Gesetz. Personen identifizieren sich geschlechtlich unterschiedlich. Ihr könnt in eurer Kleingruppe darüber sprechen, wie ihr euch selbst verortet, ob ihr euch z.B. als trans, weiblich* männlich* oder genderfluid versteht. In größeren Gruppen mit Menschen, die ihr noch nicht kennt, könnt ihr z.B. Namens- und Pronomen-Runden machen. Dann wissen alle, ob die andere Person z.B. lieber mit sie oder ohne Pronomen oder ersie benannt werden möchte.

Geschlechterrollen:
Obwohl die Frauen*Lesben-Bewegung und die Emanzipation viel geschafft hat, wirken normative Geschlechterrollen fort. Frauen* werden eher als schwach angesehen, emotional, zart, anlehnungsbedürftig. Männer* eher als rational, kopflastig, nicht empathisch, bisweilen aggressiv, während Transgender und Queers, wie das Wort queer sagt, trotz stärkerer Anerkennung nach wie vor als schräg oder verrückt gelten. Was können wir tun, um uns gegenseitig anders wahrzunehmen? Um mehr Vielfalt zu leben und zu sehen? Wir können uns in unseren Kleingruppen dazu austauschen: Wie geht es uns damit, was stört uns, was wünschen wir uns? Wir können intervenieren, wenn dumme Sprüche kommen. Wenn z.B. zu einer Transperson gesagt wird: „Sei nicht so übersensibel.“ Oder zu einer Frau* gesagt wird: „Lach doch mal.“ Oder zu einem Mann*: „Jetzt sei nicht so zimperlich, stell dich nicht so an.“ Wir können es ansprechen, wenn wir denken, Gendernormen werden verfestigt.

Geschlechtliche Arbeitsteilung:
Frauen* putzen, kaufen ein, kochen, machen Tee, schreiben Protokoll und sind für das Emotionale zuständig, dass es allen in der Gruppe gut geht, sprechen nach dem Gruppentreffen nochmal einzelne an, um sie sozial zu integrieren? Männer* schreiben die schlauen Texte, halten Redebeiträge, sitzen auf dem Podium bei der Veranstaltung, machen die gefährlichen Aktionen und halten Nachtwache beim Politcamp? Diese normative Arbeitsteilung gilt es immer wieder bewusst zu durchbrechen, sonst schleicht sie sich oft wieder ein. Oder wir entwickeln Methoden, um ihr zu begegnen, z.B. indem wir die Reproduktionsarbeit geschlechtermäßig quotieren, so dass sie genauso viel von Männern* erledigt wird. Und das Protokollschreiben rotiert, so dass alle mal dran sind. Ermutigt Personen Aufgaben zu übernehmen, die sie sich erstmal nicht unbedingt zutrauen, wie auf einem Podium zu sitzen. Aufgaben können auch mit der Zeit gelernt werden. Wenn ihr zu zweit auf dem Podium sitzt, dann muss eine Person keine Angst haben, dass ihr plötzlich nichts mehr einfällt.

Kinderbetreuung:
Dass Kinder auch Teil unseres Lebens sind, wird in politischen Zusammenhängen oft vergessen. Wer passt auf die Kinder auf, wenn sich abends die Bezugsgruppe trifft? Gibt es die Möglichkeit in der Gruppe hier zu rotieren und auch Personen, die keine Kinder haben, passen mal abends auf? Und bei Demos: gibt es die Möglichkeit für einen Block mit Kindern, beim Politcamp einen Kinderspace, wo auch ein nettes Angebot stattfindet und der nicht hauptsächlich von Frauen*Trans organisiert und betreut wird?

Macker-Verhalten:
Emotionale Bedürfnisse abtun, cool tun, Anliegen lächerlich machen, Dominanz ausüben, sei es zu bestimmen, wie es läuft, was wichtig ist, wie der Umgang miteinander ist. Dazu gehört auch einen Raum zu schaffen, in dem andere sich nicht trauen, etwas zu sagen, stumm werden, bestimmte Themen nicht ansprechen oder generell dass Themen wie Sexismus und Geschlechterverhältnisse abgewertet werden. Aber auch raumeinnehmendes Verhalten, wie breitbeinig auf dem Sofa sitzen und andere an den Rand drängen, lautes raumeinnehmendes Sprechen oder Lachen, so dass andere still werden, sich groß aufbauen und vor z.B. kleineren Personen hinstellen, so dass diesen der Raum genommen wird. Raumeinnehmendes Gestikulieren oder anderen Nahekommen oder Naherücken, so dass diese sich bedrängt fühlen.

Erklär-Bär:
Eine Form des Macker*-Verhaltens ist auch der Erklär-Bär. Es gibt viele männliche*, sympathische, „softe“ Erklär-Bären, die gar nicht so unangenehm auffallen und eigentlich sehr nett sind. Doch die Frage ist auch, wer setzt die Themen bzw. wählt das Thema aus?

Körperlichkeit. Sex. Konsens:
Welche Körperlichkeit habt ihr in der Gruppe? Nehmt ihr euch zu Begrüßung und zum Abschied in den Arm? Lehnt ihr euch während der Gruppentreffen an oder kuschelt ihr euch an? Für manche ist es schön, sich körperlich nahe zu sein, gerade auch in einer vertrauten Gruppe, gerade weil in der Gesellschaft sonst vieles so steif und körperfeindlich ist. Gut ist es, darüber zu sprechen, was ihr euch wünscht, ob ihr es schön fändet in der Gruppe körperlich vertrauter miteinander umzugehen und wo eure Grenzen sind. Was ihr nicht wollt, was euch zu viel ist. Wenn ihr eine Person in den Arm nehmt, heißt das ja auch nicht, dass ihr alle Personen zur Begrüßung in den Arm nehmen müsst. Konsens als Konzept ist hier ein wichtiger Stichpunkt, also drüber sprechen und nachfragen. Aus den nonverbalen Gesten kannst du nicht mit Sicherheit wissen, was eine Person will oder nicht will. Noch wichtiger ist selbstverständlich, ein „Nein“ zu beachten und zu respektieren und nicht zu übergehen. Das gilt besonders für Sex, darüber sprechen, was ihr wollt und was ihr nicht wollt und nachfragen. Hier haben Personen (Männer*), die im Geschlechterverhältnis privilegiert sind, noch mal eine größere Verantwortung darauf zu achten, dass Konsens praktiziert wird.

Grenzüberschreitungen, sexualisierte Gewalt:
Das ist leider kein Einzelfall, auch in unseren Gruppen und Zusammenhängen kommen Grenzüberschreitungen und sexualisierte Gewalt vor. Was ist in so einem Fall wichtig? Die betroffene Person unterstützen, da sein, fragen, was die betroffene Person jetzt braucht, damit es ihr* wieder besser geht. Eventuell einen ruhigen Ort suchen, einen „sicheren“ Ort, um evtl. zur Ruhe zu kommen, was essen, Tee trinken. Vielleicht vertraute Personen holen oder anrufen (Freund*innen). Sich gemeinsam überlegen was es jetzt braucht, was der nächste Schritt sein kann, dabei stehen die Bedürfnisse und Interessen der betroffenen Person im Zentrum. Braucht sie* eine medizinische Versorgung, eine anonyme Spurensicherung (weil die betroffene Person evtl. später eine Anzeige machen möchte), will sie* nach Hause gebracht werden oder benötigt sie* einen Schutzraum, wo sichergestellt ist, dass es keine Begegnung mit der gewaltausübenden Person gibt? Oder geht es darum, die gewaltausübende Person und/oder deren Bezugsgruppe anzusprechen, etwas zu klären oder zu intervenieren? Wenn ihr euch als Gruppe mit der Situation überfordert fühlt, könnt ihr versuchen erfahrenere Personen dazu zu holen, um Rat zu fragen oder bei einem Krisentelefon anzurufen und zu fragen, was ihr tun sollt oder zu einer Out of Action- oder Awareness-Gruppe zu gehen, falls es sowas in eurer Nähe gibt (→ siehe Out of Action).

Nackt-Sein:
Nach wie vor leben wir in einem hierarchischen Geschlechterverhältnis, das durch Heteronormativität und Sexismus geprägt ist. In diesem Verhältnis ist es nicht allen Personen möglich, sich z.B. nackt oder oberkörperfrei zu bewegen, ohne von anderen sexualisiert und gemustert zu werden. Deswegen achtet insbesondere als privilegierte Person (Mann*) darauf, wann ihr euch wie zeigt. Wenn ihr z.B. als Kleingruppe irgendwo zusammen übernachtet, kann es sein, dass es Menschen lieber ist, wenn Männer* nicht in Unterhose rumlaufen oder bei Politcamps kann es sein, dass der Wunsch besteht, dass Männer* nicht oberkörperfrei rumlaufen. Wenn ihr als Gruppe an den Badesee geht, dann sprecht vorher darüber, ob es für alle ok ist, nackt baden zu gehen. Es ist eine Frage der Solidarität, Personen, denen es in unserer Gesellschaft strukturell noch nicht möglich ist sich nackt zu bewegen, wenn sie das wollen, nicht vor den Kopf zu stoßen.

Ich mach doch nur Spaß:
Wer lacht und über wen wird gelacht? Wer kann sich Raum nehmen und sprechen oder gar Sprüche klopfen und Witze reißen? Wer hat diesen Raum nicht oder wird eher in die Defensive gedrängt? Ein Raum, in dem manche sich wohlfühlen, kann zugleich für andere ein einschränkender Raum sein. Mit dem Spruch: „Ich mach doch nur Spaß“ werden z.T. Diskriminierungen runtergespielt. Doch wenn eine Person diskriminiert oder verletzt wird, dann ist das kein Spaß.

Privilegien reflektieren:
Wenn du im Geschlechterverhältnis privilegiert bist, dann wäre es gut, wenn du dir deine Privilegien bewusst machst und überlegst, wie du mit ihnen umgehst, insbesondere um andere Personen nicht zu verletzen oder einzuschränken. Oft sind wir uns gar nicht unserer eigenen Macht bewusst und sehen nicht, wie selbstverständlich wir auf Vorteile zurückgreifen und wie selbstverständlich wir auf Umgangsweisen setzen, die uns angenehm sind und die uns Vorteile verschaffen. Das kann sowohl als Mann* gegenüber Transgender und Frauen* sein, als auch als heterosexuelle Person gegenüber Queers oder homosexuellen Personen. Dafür ist es auch vorteilhaft Texte zu lesen, Workshops zu besuchen und sich mit anderen auszutauschen, insbesondere mit Personen, von denen ihr lernen könnt.

Verbündete sein, Empowerment – und Selbsthilfegruppen:
Als in einem Herrschaftsverhältnis privilegierte Person (z.B. als Mann* oder weiße Frau*) könnt ihr versuchen Verbündete zu sein für nicht-privilegierte oder marginalisierte Personen. Das kann beinhalten, dass ihr eure Privilegien reflektiert, dass ihr offen seid für Kritik, dass ihr darauf achtet, dass Nicht-Privilegierte Raum bekommen, dass ihre Stimme gehört wird oder dass ihr euch aktiv gegen Diskriminierung einsetzt. Als Nicht-Privilegierte oder Marginalisierte (z.B. Women of Color, Transgender oder Frauen*) könnt ihr euch auch immer mal in Kleingruppen treffen, um euch darüber auszutauschen, wie es euch in eurer Bezugsgruppe geht, wie ihr Diskriminierungen wahrnehmt, was ihr euch von Verbündeten wünscht. Ihr könnt auch Empowerment- oder Selbsthilfegruppen gründen oder besuchen, Workshops geben oder mitmachen, um euch gegenseitig Tipps zu geben und euch zu stärken und Diskriminierung politisch entgegen zu treten.

So, das waren ein paar Anregungen. Viel Spaß beim Austausch und Politmachen!

Zum Weiterlesen:
Antisexistisches Kollektiv, ask gerd_a Berlin, Unterstützung Betroffener von sexualisierter Gewalt: www.askgerda.blogsport.de
Transformative Justice Collective Berlin: www.transformativejustice.eu
Antisexistische Awareness – Ein Handbuch, Ann Wiesental, 2017, UNRAST
Antisexismus_reloaded – Zum Umgang mit sexualisierter Gewalt – ein Handbuch für die antisexistische Praxis, re.ACTion, 2007, UNRAST
Zine: learning good consent: https://konsenslemen.noblogs.org/

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