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17. Erfahrungsbericht zu Twitter

Ohne Twitter
Naziaufmarsch vor zehn Jahren. Ich erinnere mich an das Gerenne. Viele Bezugsgruppen sind rund um die Naziroute unterwegs und versuchen auf deren Demoroute zu kommen, um zu blockieren. Es kommt das Gerücht auf, dass die Blümchengasse noch nicht abgesperrt ist. Meine Bezugsgruppe rennt los. Ich denke noch: Das ist jetzt schon die dritte Meldung dieser Art, das klappt doch wieder nicht. Als wir ankommen, sehen wir schon die Bullenkette und drehen ab. Ich bin fix und fertig von dem Gerenne. Seit drei Stunden geht das schon so und erreicht haben wir bisher nichts. Da taucht eine befreundete Bezugsgruppe auf, die sich vorher gut vorbereitet hat und die Route vorher gecheckt hat. Einer hat anscheinend einen Zugang zu der Naziroute über einen Hinterhof hier gleich um die Ecke gefunden. Na dann los. Vielleicht können wir doch noch was bewirken. Ca. zehn Leute stürzen mit frischer Energie los. Den Hinterhof gibt es wirklich. Die Tür ist offen, kleine Mauer, alle rübergeklettert und schon stehen wir auf der Naziroute. Die Freude wärt nur kurz. Da vorne sind sie! Jetzt wird uns ein bisschen mulmig. So viele Nasen und wir nur zu zehnt. Schön wäre es, wenn wir noch mehr Leute hierher mobilisieren könnten. Einer ruft schnell noch das Infotelefon an, aber das ist schon zu spät. Wir ziehen uns auf die Mauer zurück und lassen die Nasen vorbeiziehen. Immerhin brüllen wir was das Zeug hält, was wir von ihnen halten.

Nur eine Frage der Organisierung
Vor der Zeit von Twitter gab es auch schon eine technische Organisierungsform, die allerdings zielgerichteter war. Telefonketten.
Diese hatten sich in vielen Hausprojekten etabliert. Wurde z.B. eines der Hausprojekte angegriffen, wurde die Telefonkette in Gang gesetzt.
Es war eine sehr zuverlässige und vor allem verbindliche Form der Organisierung – gegen Bullen- oder Naziübergriffe – die ich in der heutigen Zeit leider manchmal vermisse.

Mit Twitter
Blende … 2017 – Rudolf-Heß Marsch in Spandau. Eine Sitzblockade hat es geschafft, die Spandauer Straße abzusperren. Wir stehen noch rum und warten ebenso wie ca. 150 andere Leute. Diesmal sind wir gut vorbereitet und haben uns über die Route, angemeldete Mahnwachen und Infopunkte gut informiert. Über den Polizeiticker auf Twitter kommt die Nachricht, dass die Naziroute umgeleitet wird. Die Menge gerät in Bewegung. Alle setzen sich in Richtung der neuen Route in Bewegung. Über Twitter kommt die Nachricht, dass es einen ersten Blockadeversuch auf der neuen Route gibt. Wir kennen die Ecke und twittern, dass mensch gut zu der Stelle hinkommt, wenn man links um den Block läuft. Ich bin froh über die Vorbereitung und dass wir die Infos so einfach weitergeben können. Meine Bezugsgruppe macht sich auf den Weg. Über Twitter kommt eine Bestätigung der Einschätzung. Wir haben die Blockade erreicht und setzen uns hin. Schnell werden wir mehr. Ich fühle mich sicher mit so vielen Menschen. Die Stimmung ist ausgelassen. Über Twitter kommt die Info, dass schon 400 Leute in der Blockade sitzen. Immer mehr Menschen kommen dazu. Die Nazidemo kommt nicht weiter. Über Twitter kommt die Meldung, dass die Stimmung beim Heß-Marsch schlecht ist. Nach einer Stunde lösen die Bullen die Nazidemo auf. Wir feiern und begleiten sie mit Sprechchören wieder zurück zum Bahnhof.

Sich auf Twitter zu verlassen ist auch keine Lösung
Die Kommunikation über Twitter war in diesem Fall wirklich praktisch, aber mensch kann sich nicht darauf verlassen. In Hamburg auf dem G20-Gipfel hat mich Twitter eher genervt, weil so viel Müll gepostet wurde, so dass der reale Informationsgehalt sehr gering war. Teilweise hat es gar nicht funktioniert, weil die Funknetze überlastet waren. Abgesehen davon kann das Netz direkt abgeschaltet werden.
Es gab schon vor Twitter Leute, die zu Aktionen gefahren sind und sich erst vor Ort zu den Infopunkten begeben haben, um dann spontan zu überlegen, was sie tun können – mit und auch ohne Bezugsgruppe.
An den Infopunkten gab es zwar immerhin gesicherte Informationen, aber ohne Plan und vor allem ohne Bezugsgruppe ist es schwierig (wirksame) Aktionen aktiv mitzugestalten.
Daher ist es wichtig, dass wir uns organisieren. Twitter oder andere alte und neue Kommunikationswege können eine gute Ergänzung sein – müssen aber nicht.

Manchmal gibt es eine Handvoll Leute, die gesicherte Infos twittern. Dann ist es möglich gezielt diesen Kanälen zu folgen, zum Beispiel Bündnis gegen Rechts oder lokale Initiativen, und den Rest auszublenden, um so unter der Vielzahl von Meldungen den Überblick behalten zu können.
Wichtig! Was ihr nicht vergessen dürft: Durch die Nutzung von Twitter und Co ist nachweisbar, dass ihr auf der Straße wart. Ihr hinterlasst Spuren, die im Falle von Repressionsmaßnahmen gegen euch verwendet werden können.

16. Bezugsgruppe als „Ehe fürs Leben“: In Bewegung bleiben

„Eine Bezugsgruppe aus Berlin“ – so haben wir in den letzten Jahren einige Texte unterschrieben. Schon lange wohnen viele von uns nicht mehr in der Metropole, uns hat es verstreut: Die einen verausgaben sich mit ihren Kindern, Lohnarbeit und Alltagsorganisation, die nächsten mit ihren Polit- und Gemeinschaftsprojekten oder der allgemeinen Sinnsuche. Und doch: Träumen wir nicht alle immer wieder davon nach den Sternen zu greifen? Und wissen wir nicht alle ganz schön gut, dass wir das gemeinsam am allerbesten können?

Zum Jahresbeginn gönnen wir uns regelmäßig eine Art persönliche „Bezugsgruppenstrategiekonferenz“ – ein Wochenende im ländlichen Raum und die Frage „Wohin mit uns im kommenden Jahr?“ Anfang zwanzig war das Aktivist*innenleben noch einfacher: Da waren wir mit Betonpyramiden und Co zum Castorspektakel halbwegs zufrieden. Doch jetzt? Sind die gesellschaftlichen Zustände komplexer geworden oder wir und unsere Ansprüche? Wir wissen inzwischen auch, welchen Sack voll Arbeit eine Entscheidung für ein bestimmtes Projekt in der Regel mit sich bringt… So sind wir vorsichtiger geworden uns „einfach so“ irgendwo reinzuschmeißen. An Ideen, wo wir eigentlich intervenieren müssten, mangelt es nicht. Unsere Diskussionen werden getrieben von der Sehnsucht nach der mitreißenden Aktionsidee, wir müssen es ja erstmal schaffen uns selber zum Schwingen zu bringen – kein leichtes Unterfangen mit so viel Skeptiker*innen in der Runde! Doch gesetzt den Fall irgendetwas hält in unserer Reihe der Kritik stand, dann können wir eigentlich davon ausgehen, dass die Idee zu etwas taugt!

Ein kollektiv betriebener politischer Landgasthof kann sich seit ein, zwei Jahren vor lauter Hochzeitsanfragen kaum retten. Zahlreiche linke Aktivist*innenpärchen wollen hier in gediegener „Aussteiger*innen-Atmosphäre“ heiraten, obwohl auch sie vor ein paar Jahren vermutlich noch starke Kritik an der staatlichen Institution Ehe hatten. Die Ehe wurde ursprünglich geschaffen als eine Institution, die der Organisation der Gesellschaft dienen sollte (was sie ja auch bis heute tut). Doch hey, ist die Besinnung auf die Zweisamkeit tatsächlich das, wie wir uns organisieren wollen? Sicherlich nicht! Statt staatlich legitimierter Eheschließungen bilden wir Banden und geben uns dort das Ja-Wort! Das wär was! So leicht zwingt uns kein Staat in sein Korsett!

Es waren die Castor-Jahre im Wendland, die uns als Bezugsgruppe zusammengeschweißt haben. Ein paar mehr oder weniger erfolgreiche Aktionen als Freund*innenkreis in einem mitreißenden Beat mit zumeist hohem Spaßfaktor. Ja, natürlich auch Enttäuschungen und die Erkenntnis, irgendwann waren wir fast alle mal dran, dass wir nicht unbedingt die Kuschel-Bezugsgruppe sind, die gut aufeinander aufpasst, wenn es irgendwem mal nicht so rosig geht. In dieser Erkenntnis wirken wir inzwischen fast reif: Das Wissen darum, für was wir als Zusammenhang taugen und für was wir definitiv nicht taugen!

Einige sind in den vergangenen Jahren zu uns gestoßen, andere sind uns auf dem Weg verloren gegangen, aber gleichzeitig ist es auch ein permanentes Verlieren und Wiederfinden – Wege verlaufen und kreuzen sich wieder. Weil es einen Kern gibt, der irgendwie am Leben bleibt, können wir uns abwechseln im „mal Abtauchen“.

Bündnisarbeit und Bezugsgruppe
Nach den Bezugsgruppenaktionen in unseren frühen Zwanzigern ging es relativ fix in Richtung Bündnisarbeit mit uns: Block G8, Antira- und Klimacamp HH, COP 15, Castor Schottern und Ende Gelände. Nicht dass wir immer alle gleichermaßen stark in die Bündnisarbeit involviert waren, das Tolle an unserem Zusammenhang ist: Ich kann irgendwo auftauchen und habe das Gefühl, eine Gruppe im Rücken zu haben. In der Gruppe lassen sich, wenn es darauf ankommt, leicht Arbeiten delegieren. Die Gruppe dient für die politische Analyse und Strategieentwicklung, sie ist ein kleines Korrektiv bevor ich mich in irgendetwas verrenne und sie wäscht mir den Kopf, wenn ich mich verrannt habe.

Ja, wir haben inzwischen ein paar Jahre Bewegungsgeschichte auf dem Buckel und so manch eine Erfahrung gesammelt – unsere innere Ungeduld ähnelt allerdings der vor 15 Jahren enorm. Vielleicht ist der Satz „Hier müssten wir aktiv werden!“ einer unserer häufigsten – auf jeden Fall ist er unser wichtigster Motor. Schnell haben wir dann ein Ziel vor Augen und eine Idee entwickelt zu dem „Wie kann es gehen?“ Zumeist sind wir dabei auf große Zusammenhänge angewiesen, Bündnisse eben… Und Bündnisarbeit heißt Prozessarbeit, angefeuert von einer gemeinsamen Idee! Doch wohin mit unserer Ungeduld? Schon immer haben wir uns viel über die Frage Ergebnis- oder Prozessorientierung in Kontroversen befunden: intern wie extern. In den Bündnissen der letzten Jahre haben wir es oft vermisst, dass dort noch viel mehr Menschen sitzen, die eine Bezugsgruppe im Rücken haben. Bündnisarbeit macht doch genau an der Stelle am allermeisten Sinn, wenn es nicht ein Bündnis aus Einzelpersonen ist, sondern wenn funktionsfähige Bezugsgruppen dahinter stehen. Viele Diskussionen hätten wir definitiv abkürzen können, wenn an ihnen zuvor innerhalb der Bezugsgruppen schon viel mehr dran gefeilt worden wäre. Das gilt auch für die Diskussionen in den Arbeitsgruppen.

Alle Menschen, die schon mal die Erfahrung machen durften zu erleben, wie toll es ist, Teil einer Bezugsgruppe zu sein und dann als Einzelperson (oder im Tandem) in einer Arbeitsgruppe mitzuwirken, werden sicherlich dem Credo zustimmen: Organisiert euch in Bezugsgruppen! Nicht nur für die konkreten Aktionen, sondern auch für sämtliche Organisierungsprozesse drumherum! Arbeitsgruppen kommen und gehen, doch die Bezugsgruppe bleibt!

In den letzten Jahren gab es immer mal wieder die Kritik, dass wir uns als Bezugsgruppe nicht so transparent präsentiert hätten und dass wir zu meinungsstark wären. Es gab Manipulations- und Dominanzvorwürfe. Aber vielleicht wäre das ganz anders gelaufen, wenn es noch viel mehr Menschen geben würde, die sich in starken, stabilen Bezugsgruppen zusammenschließen und gemeinsam (er)wachsen werden würden? Ja, sich vielleicht sogar als Bezugsgruppen „vermählen“ würden? Die Bezugsgruppe ist die beste Medizin, um in den Fängen des Alttags nicht unterzugehen und die Utopien der Jugend nicht aus dem Auge zu verlieren. Gemeinsam bleiben wir wach, können uns immer wieder gemeinsam anstacheln und mitreißen. Wir wollen alle gerne eine zufriedenstellende Antwort auf die Frage geben können: Und was ist aus deinen politischen Idealen geworden? Dafür braucht es aber einen Zusammenhang, in dem mir diese Frage regelmäßig gestellt wird! Und einmal einen solchen Zusammenhang gefunden, dann gilt es, ihn nicht so schnell wieder laufen zulassen! Ich werde meiner Gruppe einen Heiratsantrag stellen!

15. Die Bullen stehen im Weg – Umgehung und Überwindung von Polizeiketten

Es gibt unterschiedliche Aktionskonzepte für unterschiedliche Situationen. Mit diesen stehen mehr oder weniger einige Fragen im Zusammenhang, die ihr euch vor eurer Aktion stellen solltet:

Was will ich? Was für ein Repressionslevel ist zu erwarten? Wie ist die aktuelle Polizeitaktik einzuschätzen? Wie ist die Rechtsprechung in vergleichbaren Situationen (bei der Blockade, Besetzung etc.)? Ist mein erklärtes Ziel auf die Straße zu kommen, um eine Blockade zu starten? Manchmal geht es vielleicht gar nicht darum sich an den Bullen abzuarbeiten, sondern einfach an den Bullen vorbeizukommen. Dafür einige Ideen.

Ab durch die Mitte
Wir schieben uns einfach durch. Mit einer Gruppe Druck auf eine Stelle der Bullenkette aufbauen und durchschieben. Macht evtl. dann Sinn, wenn es genug entschlossene Leute gibt. Evtl. bisschen brachial und schmerzhaft. Kann effektiv sein, aber kann auch ins Auge gehen. Manchmal die einzige Option.

Innerstädtisches Umfließen
In der Stadt kann es Sinn machen einfach einen Block weiterzugehen und zu gucken, ob mensch da durch kommt. Reibt euch nicht an einer Blockade auf, sondern überlegt, ob es Alternativen gibt, um durchzukommen.

Finger-Hand-Konzept auf freier Fläche oder auf dem Land
Vorstellbar ist das Ganze wie eine Demo-Faust, die sich öffnet und sich in einzelne Finger verästelt. Ziel ist es die Polizeikette auseinander zuziehen und auf diese Weise auszudünnen. Das Konzept funktioniert in der Stadt und auf dem Land unterschiedlich, aber die Idee ist dieselbe.
Räumliche Voraussetzung ist das Fehlen von engen seitlichen Begrenzungen auf der Route. Daher eignet sich das Finger-Konzept fürs Land oder auf größeren Plätzen in der Stadt.
Aus einer großen Gruppe (Demo) werden so mehrere Gruppen, die sich wie Finger ihren eigenen Weg im Gelände suchen.
Die Finger teilen sich und fächern sich auf. Die Finger fächern sich in einzelne Personen auf, die nun ruhig, aber zügig parallel zueinander auf die Bullenkette zulaufen. Jede*r sucht jetzt die Lücke neben dem Bullen vor sich. Diese Taktik der Auffächerung führt relativ zuverlässig dazu, die Polizeikette durchfließen zu können. Eventuell werden auch an einer Stelle die Bullen klumpenartig gebunden, so dass an anderen Stellen große Lücken entstehen und andere Finger durchkommen.
Ihr müsst aber auch hier damit rechnen, dass die Bullen Pfefferspray und Knüppel einsetzen. Überlegt, wie ihr euch schützt.

Durchsickern
Diese Taktik setzt darauf, auf verschiedensten Wegen möglichst unauffällig zu einem vereinbarten Treffpunkt hinter die Bullenkette zu gelangen, um dort z.B. eine Sitzblockade zu starten. Vorher ist es wichtig unscheinbar zu sein, um dann im richtigen Moment sichtbar am Ziel einzutreffen.
Vorher nachdenken: Warum will ich da eigentlich durch? Auf was bezieht sich die Aktion? Auf die Bullen oder auf dezentrale Aktionen, die vielleicht mit den Bullen gar nichts zu tun haben müssen? Die Polizei ist nicht in jedem Fall der Feind, sondern ein Hindernis auf dem Weg zu unserem Aktionsort.

14. Bezugsgruppen in großen Aktionszusammenhängen

BEISPIEL DEMO

Deine/Eure Bezugsgruppe hat sich vorgenommen zur nächsten Demo zu gehen:

Vor der Demo
Natürlich seid ihr gut vorbereitet. Ihr seid alle ausgeschlafen und habt auch noch mal besprochen, wie es euch so geht und was ihr heute auf der Demo machen wollt; das kann von mitlaufen bis Hindernisse umfließen alles sein. Einige von euch waren auf dem Vorbereitungstreffen der Demo und haben die anderen informiert; ihr habt euch zwar nicht in die Organisation der Demo eingebracht, aber geschaut, wie ihr euch als Bezugsgruppe sonst einbringen könnt. Ihr habt vorher diskutiert, ob eure Gruppe eine bestimmte Aufgabe übernimmt, wie den Lautischutz (→ Glossar), oder in den ersten Reihen mitlaufen will. Ihr habt euch nicht so richtig gemeinsam entscheiden können und deswegen nichts zugesagt.

Nach dem Treffen habt ihr euch vielleicht zusammengetan und entschlossen, ein Transpi zu malen. Ihr habt euch vor der Demo verabredet und seid gemeinsam zum Treffpunkt gegangen. Eure Verabredungen trefft ihr möglichst persönlich. Ihr habt, aus welchen Gründen auch immer, beschlossen die Vorkontrollen zu vermeiden und wartet den Start der Demo in einer Seitenstraße oder im Café ab, um nach Beginn dazuzustoßen.

Während der Demo
Oder ihr seid zur Auftaktkundgebung gekommen, habt Freund*innen getroffen und ein wenig den Redebeiträgen gelauscht. Die Demo soll jetzt langsam losgehen. In eurer Bezugsgruppe habt ihr euch schon mal die Gegend angeschaut und überlegt, wo ihr in der Demo gerne mitlaufen wollt. Je nach Demo und eurer Stimmung lauft Ihr locker mit, guckt, welche Leute noch so in eurer Nähe sind. Vielleicht kennt ihr ja auch noch eine andere Bezugsgruppe, mit der ihr zusammen eine Reihe bildet.

Ihr haltet euer Transpi an Stangen hoch oder lauft an der Seite. Ihr habt euch auch überlegt was ihr tut, falls es zu Rangeleien kommt oder sie sich andeuten, so dass ihr euer Transpi neben der tollen Botschaft, die ihr damit vermittelt, entweder als Schutz einsetzen oder es schnell zusammenrollen und Ketten bilden könnt.

Achten auf Andere
Auch ist es nett, wenn eure Bezugsgruppe auf Menschen achtet, die allein unterwegs sind, besonders, wenn es dann doch etwas ungemütlicher auf der Demo wird. Ihr könnt auch überlegen, ob ihr den Menschen, die wieder mal mit Bierflaschen auf der Demo rumlaufen, sagt, dass ihr das gar nicht cool findet und dass sie damit sich selbst und andere gefährden. Das Gleiche, wenn wieder mal einige Leute sexistische Sprüche klopfen oder mackeriges Verhalten an den Tag legen. Eure Bezugsgruppe kann hier eingreifen. Überlegt euch vorher am besten wie.

Ihr wisst als Bezugsgruppe ungefähr wie weit ihr gehen wollt und überprüft die Absprache wenn nötig. Ihr besprecht den Zeitpunkt, wann Ihr gehen wollt oder mit nach vorne stürmt. Wenn es ungemütlich wird, die Bullen Leute rausgreifen wollen oder euch nicht durchlassen wollen, bildet ihr Ketten und fordert andere auch dazu auf. Das gibt euch Sicherheit und die Demo ist geschlossener. Wenn ihr Uniformierte oder Zivis innerhalb der Demo seht und sie nicht direkt ansprechen wollt, um sie der Demo zu verweisen, wendet ihr euch an den Lauti.

Bullen haben in der Demo nichts verloren. Sie gehen in unsere Demo rein, um uns einzuschüchtern. Sprecht sie an und fordert sie auf, die Demo zu verlassen. Guckt euch um, dass keine Leute überrannt werden und falls die Bullen versuchen, eine*n festzunehmen, überlegt, ob ihr da hingeht, rumsteht oder eingreift. Eine entschlossene Gruppe kann eine ganze Menge erreichen, auch wenn es keine Garantie dafür gibt. Genauso wenig gibt es eine Garantie dafür, keine Prügel von den Bullen abzubekommen oder nicht festgenommen zu werden, ganz egal wo ihr euch aufhaltet.

Ruhe bewahren
Da Panik bei Aktionen der Bullen weit verbreitet ist, kann es helfen, wenn eine Bezugsgruppe ruhig und überlegt handelt. Wenn ihr Ruhe verbreitet, nicht auch in Panik geratet und hektisch wegrennt (Wegrennen ist trotzdem manchmal nötig, keine Frage!) kann das auch andere Menschen um euch herum beeinflussen und die Demo doch noch zum Ziel bringen. … Das könnt ihr ausprobieren, schließlich habt ihr den Vorteil mit Menschen unterwegs zu sein, die ihr kennt und mit denen ihr euch vorher abgesprochen habt.

Spitzel
Einige Anmerkungen, die wir erhielten, bezogen sich darauf, dass auf Aktionen auch immer Spitzel unterwegs sind. Das ist sicherlich so und soll nicht hinten runterfallen, aber euch auch nicht total hemmen etwas zu unternehmen. Bezugsgruppen sollten zusammenwachsen und wenn ihr euch besser kennt, etwas über den Alltag der anderen mitbekommt und Vertrauen zueinander habt, solltet ihr euch sowieso noch mal Gedanken machen, mit wem ihr welche Aktion macht.
Wenn ihr euch ausführlich mit dem Thema beschäftigen wollt: Mohr/Viehmann: Spitzel, 2004, Assoziation A oder guckt mal im Infoladen (Glossar).
Wer steht da eigentlich neben mir…?

Verdeckte*r Ermittler*in, Kripo in Zivil, V-Leute… Sie tragen nicht immer den langen Trenchcoat oder eine Sonnenbrille. Von bieder bis sportlich, von autonom bis Punk ist ihr Repertoire unserem Outfit angepasst. D.h. bevor ich mich mit Freund*innen oder meiner Gruppe bespreche, schaue ich mich mal um, wer da noch so rumsteht und große Ohren bekommt. Aber vergesst dabei nicht, dass auch Menschen dabei sind, die neu sind, weniger Informationen haben oder sich unsicher sind. Nicht alle, die unmotiviert in der Gegend herumstehen, gehören zum Staatsschutz!

Nach Aktionen …
… haben die meisten Menschen das Bedürfnis über ihre Erlebnisse zu sprechen, entweder weil sie einen besonders fiesen Polizeieinsatz erlebt haben (siehe auch Traumatisierung) oder weil die Aktion so wunderbar und pfiffig gelaufen ist. Hinterher geht es niemanden mehr etwas an, wer geplant hat oder dabei war. D.h. nicht, dass ihr nicht drüber reden sollt, sondern genau darauf achtet, mit wem ihr wo über was redet, wo ihr was postet. Geht bewusst mit eurem Bildmaterial um.

13. …aber 1000 sind auch kein Pappenstiel!

Es kommt auch vor, dass ihr als Bezugsgruppe innerhalb eines größeren Aktionszusammenhangs Entscheidungen treffen müsst.
OK, ihr habt jetzt eure Bezugsgruppe aus, z.B. acht Leuten gebildet. Mit acht Leuten könnt ihr schon einigen Wirbel machen. Insgesamt kommt ihr dabei natürlich nicht weit, auch wenn das schon ein guter Anfang ist. Aber mit 1000 Leuten könnt ihr deutlich mehr wuppen. Aber wie funktioniert nun wieder eine Organisierung mit 1000 Leuten, zum Beispiel auf einem Camp, welches einen Wirtschafts-Gipfel verhindern will? Letztendlich stellt sich die Frage auch bei jeder AfD-Demo oder jeder versuchten Zwangsräumung, die uns auf die Straße treibt.

Im Idealfall sind alle anderen 992 Leute auch in Bezugsgruppen organisiert und es gibt verschiedene Unterstrukturen. Meist ist es so, dass die Bezugsgruppen vor oder während einer Aktion/Demo Delegierte aussenden (zum sog. Deli-Treffen), die alles Wichtige durchsprechen, klare Abbruchkriterien festlegen etc. und Fragen zurück in die Bezugsgruppen schicken, um auf diese Weise möglichst viele Menschen in Entscheidungen einzubinden. Bei sehr großen Veranstaltungen, bei einem Camp mit 5000 Leuten bspw., kann auch ein solches Deli zu groß sein, um sinnvoll zu diskutieren. In einem solchen Fall werden oft Strukturen zu kleineren Deli-Treffen zusammengefasst, es gibt dann sog. Barrios oder Finger in den Camps (Städte-Barrios oder Barrios, die eine Aktionsform oder einen politischen Background repräsentieren, z.B. Studi-Barrio, Queer Barrio, Landwirtschafts-Barrio → Glossar).

Wenn mehr als 50 Menschen einen Entscheidungsprozess gehen wollen, kann es
hilfreich sein auch in Zeichensprache miteinander zu kommunizieren. Es gibt eine von
Aktivist*innen entwickelte Zeichensprache, mit der Zustimmung, Ablehnung,
Redebedarf und noch einige Dinge mehr mittels Handzeichen mitgeteilt werden können.

Nötiges Vertrauen vs. Paranoia
Ihr werdet bei großen politischen Veranstaltungen, zum Beispiel bei einem Aktionscamp mit 1000 Leuten, nicht alle kennen. Trotzdem geht es darum, gemeinsam ein politisches Ziel zu erreichen – ihr wollt was zusammen, sonst wärt ihr nicht da. Das macht ja auch den Reiz von Aktionscamps oder auch großen Demos aus, zu spüren, da sind noch viele andere, wir sind nicht allein.

Stell dir nun vor, ihr habt im Internet von einer Aktion gehört, fahrt da hin und findet aber keinen Zugang, weil sich einzelne Gruppen oder Aktionszusammenhänge scheinbar abschotten. Der Grund dafür ist oft nicht klar formuliert, mensch fragt sich dann schnell, ob das jetzt die obercoolen Checker*innen mit den „richtigen“ Kontakten (oder den „coolen“ Klamotten) sind. Der Grund ist manchmal trivialer. Zusammenhänge, die sich schon länger kennen, machen Aktionen, die stärker kriminalisiert werden können, aus Schutz vor Verfolgung durch Polizei und Justiz lieber nur mit Leuten, die sich kennen. Lasst euch von dieser Klüngelei nicht abschrecken oder einschüchtern, sie richtet sich nicht gegen euch. Am besten überlegt ihr euch ja ohnehin vorher, was ihr machen wollt. Bei so einer Planung steht ihr selbst schnell vor der Frage, wie viel Vertrauen innerhalb der Gruppe nötig ist und was dagegen unnötige Paranoia ist und andere Mitstreiter*innen unnötig ausschließt. Kurz: Nicht naiv sein gegenüber den Bütteln des Staates, nicht paranoid gegenüber Genoss*innen!

12. Burn out statt burn down?!

Ausgebrannt sein und politische Arbeit in Gruppen

Die meisten kennen das. Immer wieder kommt es in den verschiedensten Gruppen dazu, dass sich einzelne Personen völlig aufreiben – bis hin zum Rückzug aus der Gruppe. Oft merkt es diese Person gar nicht (selbst/sofort). Spätestens dann ist es für das Umfeld sehr wichtig, das Thema anzusprechen und Hilfe anzubieten. Gründe, um in eine solche Situation zu kommen, gibt es viele und sie finden sich auf verschiedenen Ebenen.

Das „ausgebrannt sein“ oder englisch „Burnout-Syndrom“ (engl. /to burn out/ – ausbrennen) bezeichnet einen besonderen Fall chronischer Erschöpfung. Durch ständige Frustration, das Nichterreichen eines Zieles und zu hohe persönliche Erwartungen an die eigenen Leistungen kann es zu dieser Überlastung kommen. Dabei sind die Symptome vielfältig und können in Bezug auf Auftreten und Ausmaß individuell unterschiedlich sein. Die Symptome können Depressionen sein, aber auch Beschwerden wie Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Magenkrämpfe oder andere körperliche Beschwerden. Typische Symptome sind auch Schuldgefühle, bspw. Selbstvorwürfe. Die ausgebrannte Person erlebt die Umwelt im Allgemeinen als nicht mehr kontrollierbar und zieht sich oft in sich zurück. Hilfe von außen durch Bezugspersonen wird kaum noch oder gar nicht mehr angenommen. Es gibt verschiedene Ebenen, auf denen die Ursache und der Anlass für ein Ausgebrannt-sein basieren. Daher kann auch neben Hilfe von Freund*innen fachliche Hilfe vonnöten sein.

Die Ursachen sollen kurz benannt werden:

Die gruppendynamische Ebene

  • (Wissens-)Hierarchien und fehlende Transparenz
  • Heterogenität, unterschiedliche Hintergründe und Ambitionen in einer Gruppe mitzumachen – die Suche nach sozialem Kontakt kollidiert mitunter z.B. mit dem politischen Anspruch
  • offene Gruppen, die manchmal als zu unverbindlich aufgefasst werden
  • Subgruppen, Klüngel und Mobbing
  • festgefahrene Rollen in Gruppenstrukturen/Dominanz
  • unterschiedliche Energiereserven und Kapazitäten werden zu wenig wahrgenommen/respektiert
  • Perfektionszwang
  • Die individuelle Ebene
    Eine weitere Ebene ist die individuelle Ebene und eigene „persönliche“ Struktur, wodurch es dazu kommt, dass bestimmte Menschen besonders gefährdet sind, sich völlig zu verausgaben. Dazu gehört:
  • ein hoher eigener Anspruch und hohe Erwartungen an andere
  • möglicherweise stellt die Politgruppe auch die leider erfolglose Flucht aus dem Alltag dar
  • enttäuschte Suche nach sozialem Netz
  • enttäuschte Suche nach Sinn (im Leben)
  • Idealismus und Realität sind selten vereinbar
  • eigens auferlegter Zwang, Pflichtbewusstsein
  • enttäuschte Suche nach Bestätigung
  • Helfer*innenkomplex – eigene Traumata verdrängen

Die gesellschaftliche Ebene
Nicht zu vergessen: Wir leben in einer Gesellschaft, die einzig auf individueller Leistung basiert in der die oder der Einzelne nichts kriegt und nichts zählt, wenn sie/er nichts leistet. Dieser Zwang, die unerbittliche Konkurrenz, die diversen Formen der Diskriminierung, welcher mensch sich individuell immer wieder aufs Neue stellen muss, macht eine*n „verrückt“ und „krank“.

Wie geht es besser?
Zu diesen unterschiedlichen Themenfeldern kommen noch die „Probleme“, die das Arbeiten in Gruppen an sich oft erschweren. Meistens loben wir uns selber gegenseitig zu wenig oder eben nur bestimmte Leute bzw. nur bestimmte Arbeiten. Die informelle Arbeit wird oft unterbewertet, häufig gibt es festgefahrene Rollenverteilungen in der Gruppe, aber keine klaren Zuständigkeiten; das Private wird nicht im richtigen Maß zugelassen und persönliche Grenzen werden nicht wahrgenommen. Und auch die Repressionen von verschiedenen Seiten – vor allem staatlicherseits – sind eine Belastung für jede*n einzelne*n, wobei es wichtig ist, diese in der Gruppe zu bearbeiten.

Lösungsansätze könnten sein, die internen Strukturen und die momentanen Ziele zu klären, Sensibilität anderen und uns selbst gegenüber zu entwickeln und vor allem Hierarchien immer wieder kritisch zu hinterfragen. Es ist immer wieder sinnvoll nachzuvollziehen, was denn gerade in einer Gruppe nicht so toll läuft, vor allem, wenn sich die Gruppe mal wieder stresst und kein Mensch weiß bzw. sagt, woran es liegt. Für die Veränderung der Gesellschaft brauchen wir einen langen Atem. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass unsere Gruppen und Strukturen uns aufbauen oder – noch besser – gut tun.

11. Leistungsdruck: Der Weg ist das Ziel

+++Hier liegt begraben: Politgruppe XY. Am eigenen Anspruch zerbrochen.+++

Was bedeutet(en) mir meine Politgruppe(n)? Ein Freundeskreis und Kuschelkasten? Die Rote Zelle auf revolutionärem Weg? Eine Diskussionsplattform und politischer Austausch? Soviel Mitglieder eine Gruppe zählt, soviel Motivationen, Träume, Wünsche und Ansprüche zählt sie potentiell. Wie soll dieser überindividualisierte Haufen wohl einen gemeinsamen Nenner finden? Klar, da ist am Anfang wahrscheinlich eine grobe politische Richtung, vielleicht auch ein Konsens über die Aktionsform. Eben der gemeinsame Wille, etwas zu tun. An diesem Etwas nicht zu scheitern, ist aber bereits die erste Hürde. Eine gemeinsame Aktion, ein fein ausgetüftelter Plan scheint als Bindeglied fungieren zu können. Das Realisieren eines tollen Planes, einer fixen Idee schweißt zusammen, die Vorstellung einer erfolgreichen Aktion gleich nochmal mehr. Aber bleibt da, selbst wenn die Aktion dann tatsächlich erfolgreich war, nicht auch Leere? Ein sich verlassen fühlen? Ohnmacht? „Was können wir schon erreichen?“ – scheint die immer wieder drängende Frage.

Und was wurde aus all den „erfolglosen“ Aktionen? Die Abschiebung konnte nicht gestoppt werden, die Nazidemo konnte ungehindert laufen. All die lange vorbereiteten und gut geplanten Aktionen, die sich dann samt Material irgendwo verliefen? Verlief sich mit ihnen auch die Gruppe? Zerstreuten sich die Aktivist*innen in alle Winde? Suchten sie einzeln Zuflucht unterm Deckmantel neuer Gruppen? Waren sie erfolglos und stürzten sich in Lohnarbeit, Familienplanung oder Karriere? War die Aktion, über die nichts in der Zeitung stand, erfolglos?

Jung, schön und erfolgreich?
Wir sollten unseren Erfolg und unsere Stärke nicht nur an gelungenen Aktionen messen. Was bedeutet denn zum Beispiel eine Aktion, die von einer einzelnen Person vorbereitet wurde, die dann die anderen Mitspieler*innen kommandiert? Vielleicht ist sie effektiver, vielleicht sind ihre Erfolgsaussichten größer, aber was genau ist für uns „Erfolg“ in diesem Kontext?

Wir wollen etwas erreichen, wollen, dass unsere Bemühungen nicht ins Leere laufen. Doch woran messen wir das? An der gesprengten Knastmauer? Am gestoppten Atomtransport? Was ist das Ziel? Die Veränderung der Gesellschaft? Des Systems? Bewusstseinswandel überhaupt? Mögliche Antworten auf diese gigantischen Fragen gibt es wie Sand am Meer. Die Antworten rieseln uns durch die Hand wie trockener Sand. So richtig greifbar sind sie nicht. Aber sie geben Hinweise darauf, in welche Richtung wir gehen wollen. Das Ziel steht all zu oft im Weg. Doch was ist der Weg? Wo führt er uns lang? Wo führt er uns hin?

Zusammen Druck machen
Der Aushandlungsprozess des gemeinschaftlichen Lebens unter Berücksichtigung all unserer Antis scheint ein solcher Weg zu sein. Wir sind queer, antisexistisch oder/und antikapitalistisch und haben viele verschiedene Vorstellungen davon, was das konkret bedeutet. Wie stellen wir uns ein gutes, freies Leben vor, ein widerständiges Leben im Alltag? Mühsam und steinig sind die Auseinandersetzungen und Plena, oft gibt es stundenlange Diskussionen, oft scheinen sie zu allem Überfluss auch noch ergebnislos zu bleiben. Es kann eine*n verrückt machen. Wir wollen doch was erreichen, wollen handlungsfähig sein!

Gegenseitige Vorwürfe entstehen, die Verantwortlichen scheinen leicht ausgemacht: „Warum hältst du uns mit deinen Bedenken und Ängsten auf? Warum weißt du nicht Bescheid, was die G20 für Dreck am Stecken haben? Warum warst du nicht auf dem Plenum? Warum bist du nicht zur Demo mitgekommen? Was, du hast die Flyer nicht kopiert? Warum trittst du den Bullen nicht gegen’s Schienbein? Warum? Warum? Warum?“

Soviel gibt es zu tun, soviel zu machen. Das Leben ist eine riesige Baustelle. Überall brennt es, überall sind wir gefragt. Wer wundert sich da noch über Leistungsdruck – selbst in der kuscheligen Bezugsgruppe, in der politischen WG? Wie viele von uns sind an ihm schon zerbrochen? Haben sich einsam und unverstanden gefühlt und träumten heimlich von einer Einraumwohnung, in der sie sich verkriechen können? Wo sind die Zeiten, in denen wir mal einfach nur in den Tag hinein leben können? Nicht immer noch fünf offene Punkte auf der To Do-Liste zu haben, wenn wir nachts ins Bett gehen. Stress und Überlastung ruft eine vage Sehnsucht wach. Eine Sehnsucht nach einem Leben ohne Leistungsdruck. Leistungsdruck, den wir uns auch selber auferlegen. Jede*r von uns.

Großer Sprung? Kleine Schritte?
Wir wollen etwas erreichen, auf die Reihe bekommen. Der Blick auf die kleinen Schritte, auf die schwer fassbaren Erfolge ist dabei enorm eingeschränkt. Auch sie rieseln uns durch die Hände, scheinen so selbstverständlich und sind doch so bewundernswert groß. Wir können nur aus diesem Leistungsdruck ausbrechen, wenn wir ihn wahrnehmen, ihn thematisieren und um Hilfe bitten können. Dazu gehört auch ein Blick für die Anderen, ein Sensibel-sein und Zuhören-können. Stress-machen ist in diesem Zusammenhang zerstörerisch. Tod der Politgruppe XY, weil einzelne von uns nicht Schritt halten können und wollen mit dem Tempo des Erfolgswahns. Ende eines Weges, der zum Ziel führen soll. Wie das Ziel konkret aussehen soll, werden wir noch nächtelang diskutieren. Auch das ist der Weg. Aber ein Ziel, welchem wir unsere Bedürfnisse und Träume unterordnen müssen, eine Kollektivität, in der Leistungsdruck herrscht – das ist garantiert nicht das, wofür wir kämpfen. Wenn wir die Entscheidung gefällt haben gemeinsam zu kämpfen, zu leben, lieben, arbeiten, dann werden wir auch mit überzogenen Ansprüchen, Erwartungshaltungen und Leistungsdruck fertig. Nur: Wir müssen etwas gemeinsam wollen!

Anmerkung: Der nächste Teil zum Thema Burn out soll nicht zu schwer gewichtet werden. Wir fanden es aber wichtig, dieses Thema zu benennen und darauf aufmerksam zu machen, da es doch hin und wieder mal vorkommt.

10. Solidarität ist eine Waffel

In jede Bezugsgruppe gehört auch die Auseinandersetzung mit Risiken und Repression. Es kann immer jemand von uns, unsere gesamte Gruppe oder die Leute neben uns von Repression betroffen sein. Viele beschäftigen sich lieber nicht damit oder vertrauen darauf, „dass schon alles gut geht“. Andere trauen sich immer weniger, weil sie sich in ihrem Handeln zu sehr von den möglichen Folgen einschränken lassen. Irgendwo dazwischen müssen wir alle einen Umgang mit dem Risiko staatlicher Repression finden. Wir halten daran fest, dass unser Leben sich rechtlichen Rahmenbedingungen, polizeilicher Drohkulisse oder Einschüchterung nicht einfach unterwerfen sollte. Nur durch den Druck sozialer, politischer Bewegungen können die Verhältnisse verändert werden.
Wer wann und in welchem Umfang von Repression betroffen ist (z.B. Polizeigewalt auf Demos, Straf- oder Haftbefehle, Auflagen z.B. im Sinne von Reisebeschränkungen, Observationen, Bespitzelungen, Untersuchungshaft, Hausdurchsuchungen usw.), lässt sich bei aller Erfahrung nicht genau vorhersagen. Sie kann pazifistische Friedensaktivist*innen und militante Kreise treffen, oder auch mal die überraschte Mitbewohner*in oder den/die ältere Genoss*in, der/die schon seit Jahren nicht mehr aktiv ist. Sie ist politischen Konjunkturen unterworfen oder hängt auch mal vom Jagdeifer eines/r einzelnen Beamt*in oder eines/r eifrigen Staatsanwält*in ab. Gemeinsam ist allen Situationen, dass sie für die Betroffenen meist äußerst unangenehm und bedrohlich sind.

Auch hier gilt : Zusammen mehr erreichen!
Wir finden: niemand darf mit Repression alleingelassen werden! Deshalb gibt es unter anderem Rechtshilfegruppen, Ermittlungsausschüsse, Solifonds und -kreise, Broschüren zum Umgang mit Polizei und Justiz sowie Veranstaltungen zum Thema. Viele haben die Erfahrung gemacht, dass die Auseinandersetzung mit dem Thema nicht zu Einschüchterung führen muss, sondern das Vertrauen in die Gruppe und sich selbst stärken kann. Mensch fühlt sich staatlichen Repressionsorganen gegenüber nicht völlig hilflos ausgeliefert, sondern hat vieles im Kopf schon mal durchgespielt oder von Leuten gehört, wie sie mit solchen Situationen umgegangen sind. Deshalb glauben wir, dass das Thema Repression in unserem Alltag eine Rolle spielen sollte, dazu gehören auch die Ängste, Unsicherheiten und Fehler, die wir alle in solchen Momenten kennen.

Es kann Sicherheit geben zu wissen, dass sich Leute kümmern, wenn du bei einer Demo festgenommen wurdest, oder jemand nach einer Hausdurchsuchung zum Reden vorbeikommt, ’ne Demo organisiert und auch langfristige Soli-Arbeit leistet. Es ist eine ganz große Stärke unserer Bewegung kollektiv und solidarisch zu handeln. Das heißt auch, dass sich alle mit dafür verantwortlich fühlen Zeit, Geld, Soliarbeit, Texte, Veranstaltungen, Knastbesuche usw. beizutragen.

Wenn dies einen ganz normalen Teil unseres politischen Handelns darstellt, dann können wir uns alle gegenseitig darin unterstützen handlungsfähig zu bleiben, aktionistisch und inhaltlich weiterzumachen…

9. Erfahrungsbericht: SAMBA! Rhythms of Resistance

Rhythms of Resistance oder kurz RoR ist ein Netzwerk politischer Trommelgruppen, die Demonstrationen oder direkte Aktionen unterstützen und durchführen. Die Idee, Musik als Aktionsform zu nutzen, ist keine neue: In den 1970er Jahren gründeten sich in Brasilien Afro-Block-Trommelgruppen. Diese entwickelten sich aus den ärmsten Stadtteilen und wurden zu einer Bewegung des Schwarzen Widerstandes und einer Quelle des Selbstvertrauens. Beeinflusst dadurch bildete sich in Europa ein Aktionskonzept bestehend aus Musik, Tänzen und dem Konzept der „taktischen Frivolität“, welches zum ersten Mal während des IWF/Weltbank-Gipfeltreffens 2000 in Prag effektiv angewendet wurde.

Taktische Frivolität zielt darauf ab, die künstliche Trennung zwischen militanten und kreativen Formen des Widerstandes zu überwinden. Sie bewegt sich in einem Raum, der zwischen Konfrontation, Deeskalation und kreativem Protest existiert. Sie meint schrille Farben (pink und silber), queeres Auftreten und kitschige Kostüme. So können klassische Zuschreibungen der Polizei irritiert und umgangen werden.

Musik und Tanz sind in dieser radikalen Neudefinition des Straßenprotestes ein Mittel, um polizeiliche Gewalt praktisch zu umgehen oder zu dekonstruieren und darüber hinaus Polizeikräfte gezielt zu nerven oder abzulenken. Außerdem hat RoR oft auch eine bestärkende Wirkung auf andere Bezugsgruppen und kann bei Bedarf motivierend oder deeskalierend wirken. Dies sollte möglichst nach Absprache mit den anderen geschehen, um sich nicht gegenseitig zu behindern oder zu nerven.

Obwohl RoR weltweit knapp 100 verschiedene Bands umfasst, die autonom funktionieren, wird eine maximale Beteiligung aller an Gruppen- und Entscheidungsprozessen angestrebt. Alle Bands spielen die gleichen Tunes (Melodien) und benutzen die gleichen Handzeichen zur Kommunikation. Dadurch können sich bei Aktionen verschiedene RoR-Bands sehr einfach zusammenschließen und direkt miteinander spielen oder agieren. Bei Bedarf können diese Gruppen sich spontan wieder aufteilen und als unabhängige Bezugsgruppen handeln.

Vor großen Aktionen ist es deshalb ratsam, kleinere Bezugsgruppen innerhalb einer Band zu bilden und „Buddys“ (permanente vertraute Bezugsperson) zu finden. Folgende Kriterien können dabei wichtig sein: Welche Aktionen kann ich mir vorstellen? Wo sind meine Grenzen? Wie hoch ist mein Risikolevel? Wie ist mein Gefühl in der Gruppe? Welche Wirkung will ich erzielen? Wie will ich im Kontakt mit der Polizei wahrgenommen werden? Sind in meiner Bezugsgruppe alle wichtigen Instrumente vertreten? Ist die Bezugsgruppe mobil?

Wir sind ein offenes Netzwerk für alle Menschen, die unsere emanzipatorischen Prinzipien teilen. Es geht uns nicht darum, die Rhythmen perfekt spielen zu können, sondern um die Energie, die wir transportieren wollen. Wir versuchen feste Rollen zu vermeiden, indem wir zum Beispiel möglichst alle Instrumente ein bisschen spielen können, sodass bei Bedarf gewechselt werden kann. Lass uns gemeinsam die Protest-Party auf die Straße und vor die Knäste tragen. Komm und mach mit, wir haben nichts zu verlieren!

Hier gibt es mehr Infos und Kontakte zu Bands in deiner Nähe: www.rhythms-of-resistance.org

8. Den Riot in die Steppe tragen

Aktionen finden nicht immer in unserem vertrauten Dörflein (Kiez, Städtchen etc.) statt, sondern oft in freiem Gelände, z.B. Blockaden von Kohlebaggern, Rechtsrockfestivals und Atomtransporten. Alles in allem gibt es viele positive Erfahrungen mit Aktionen auf dem Land. Das kann für eure Bezugsgruppe auch die Gelegenheit sein, mal etwas mehr Zeit miteinander zu verbringen und Sommer, Sonne, Widerstand zu leben.

Für viele, die aus der Stadt kommen, sind Aktionen auf dem Land ungewohnt. Es gibt keine schützenden Häuserschluchten. Manchmal kursieren einschüchternde Mythen um die eingesetzte Technik der Polizei (Hubschrauber, Wärmebildkameras etc.). Technik ist aber meist teuer und steht nicht massenhaft zur Verfügung. Und die Größe des Areals und Vielfältigkeit des Geländes kann auch ein Vorteil gegenüber der Stadt sein. Die Polizist*innen müssen sich großflächig verteilen und ausdünnen. Dies kann durch geschicktes Vorgehen noch verstärkt werden. So kann eine auf den ersten Blick nicht so erfolgreiche Aktion den Erfolg an anderer Stelle ermöglichen.

Bei allen technischen, taktischen und strategischen Überlegungen solltet ihr immer das richtige Maß finden und die Außenwirkung mitbedenken. Es ist wichtig, dass ihr ihr selbst bleibt: mit euren quirligen und lebensbejahenden oder auch anderen Gedanken und Ausdrucksformen. Es kann nicht darum gehen in eine militärische Logik zu verfallen – auf dem Gebiet ist der Staat nicht zu schlagen. Es muss darum gehen, durch phantasievolle und/oder massenhafte Aktionen die politischen Verhältnisse durcheinander zu bringen.

Die zurückzulegenden Strecken sind für alle Beteiligten erheblich größer. Es gibt keine U-Bahn. Busse fahren nicht im 5-Minuten-Takt. Ein Auto gibt es vielleicht nicht oder es wird an einer anderen Stelle eingesetzt. Das schnelle Fortbewegen auf dem Land ist manchmal schwierig: Polizei versperrt die üblichen Routen und wenn dann die wenigen Wege z.B. aufgrund von Geäst nicht befahren werden können, ist das natürlich unpraktisch. Zieht also auch alternative Transportmöglichkeiten in Betracht.

Auch wenn in diesem Heft viele Details und Tipps gesammelt sind: Bemüht euch nicht, dies zur Perfektion zu treiben. Wir wollen keine paramilitärischen Strukturen, die Raum für Individualität zunichtemachen. Wir wollen lustige, vielfältige und auch mal banale Aktionen, die mit einer emanzipatorischen Überzeugung verbunden sind. Dabei sollte auch nicht vergessen werden, dass nicht die einzelne Aktion zum Erfolg führen wird, sondern der Kontext einer Vielzahl von Aktionen. Beißt euch also nicht zu sehr an einer Aktion fest oder seid total frustriert, wenn diese mal nicht klappt. Vielleicht war es einfach Zufall, dass der Wasserwerfer genau euch im Weg stand. Vielleicht wurde der Ort schon von einer anderen Gruppe vor euch „benutzt“, vielleicht waren aber auch eure Absprachen nicht ausreichend – in jedem Fall solltet ihr eine Nachbereitung machen: Aus Fehlern lernt Bezugsgruppe!