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7. Für ein solidarisches Scheitern

Wie hier im Heft an mehreren Stellen erläutert wird, finden sich Bezugsgruppen sehr unterschiedlich und aus verschiedenen Gründen zusammen. Gerade auch bei temporär angelegten Bezugsgruppen kommt es vor, dass sich die einzelnen Personen aus dem Zusammenhang nicht so gut kennen und sich daher nicht immer richtig einschätzen können. (→ siehe Vorbereitung und Nachbereitung von Aktionen)

Dann gilt: umso weniger ihr euch kennt, umso mehr müsst ihr miteinander klären, auch um zu sehen, ob ihr als Gruppe überhaupt zusammen passt. Nur weil alle in der Gruppe das vermeintlich gleiche Ziel haben, z.B. für ein Camp gemeinsam kochen, heißt das noch lange nicht, dass es davon eine einheitliche Vorstellung gibt. Ohne klare Absprachen denken die einen vielleicht, dass so viel wie möglich containert und der Rest so billig wie möglich eingekauft werden sollte. Die nächsten gehen davon aus, dass mit den Höfen aus der Umgebung zusammen gearbeitet und möglichst saisonal und bio eingekauft werden müsste. Andere wollen nur Produkte aus solidarischer Ökonomie und im Zweifel auch von weit weg importiert besorgen.

Alle haben für ihre Ideen und Ansätze ihre berechtigten Gründe. Wichtig ist in so einem Fall eine ausreichende Vorbereitung, denn es braucht genug Zeit, um all die verschiedenen Herangehensweisen und Vorstellungen zu klären, damit es nicht zu großem Frust kommt. Aber leider mangelt es sehr oft an der Zeit dafür, denn wir haben noch verschiedene andere Politgruppen, Lohnarbeit, Kinder, Fernbeziehung oder was auch immer zu managen und können/wollen uns nicht ausschließlich um die eine Aktion kümmern. Innerhalb unserer Lebensrealität für genügend Vorbereitungszeit in Form von ausreichenden Treffen zu sorgen, ist daher oft nicht leicht. Bei den kurzen Absprachen ist es schwierig herauszufinden, inwieweit alle das gleiche wollen bzw. erwarten und die Hoffnung besteht oft, dass das schon alles laufen wird.

In euren ersten Treffen schien es vielleicht, als ob ihr gut zusammen arbeiten könntet. Doch während der Durchführung eurer Aktion stellt sich heraus, dass ihr bei wichtigen Themen unterschiedliche Grundsätze und Herangehensweisen habt.

Jetzt haben sich vielleicht schon einige Probleme, Missverständnisse, Kränkungen angehäuft und es kam auf verschiedenen Ebenen untereinander zu Unmutsbekundungen, da sich die einen vielleicht falsch verstanden, die anderen nicht ernst genommen oder ignoriert, vor allem sich in den Bedürfnissen und politischen Verständnissen zurückgesetzt fühlen. Eure Kochgruppe z.B. hat Dynamiken entwickelt, die dazu geführt haben, dass die einen überwiegend einkaufen gehen, andere im Hintergrund dafür sorgen, dass es eine Struktur gibt und die nächsten regelmäßig die Inspiration für das kommende Essen beisteuern. Das kann funktionieren, wenn die jeweilige Rolle für alle passt und im günstigsten Fall so auch kommuniziert wurde.

Doch es kann auch sein, dass die einen das Gefühl haben, dass sie das meiste machen müssen, da die durchaus wichtige Arbeit im Hintergrund nicht kommuniziert wird und das vorne an der Essensausgabe, wo eh viel zu viel zu tun ist, auch gar nicht wahrgenommen werden kann. Die nächsten wollten ihre Kreativität auch gerne an den Töpfen ausleben, waren aber bei der Artikulation nicht laut genug, um gehört zu werden (und beide Gruppen sind aufeinander sauer – die eine, weil sie das Gefühl hat, dass immer sie kochen muss, die anderen, weil sie meinen, nicht an die Töpfe zu dürfen) und das mit der Art des Einkaufens (so billig oder so öko wie möglich?) wurde auch nicht geklärt sondern einfach gemacht, wie die jeweilige Person sich das so dachte.

Das Ganze ergibt einen riesigen – scheint’s gordischen – Knoten, der aber nur im Notfall zerschlagen werden sollte. Wenn es derartig klemmt, ist es wichtig inne zu halten und zu versuchen, die Probleme, Missverständnisse und Verletzungen miteinander zu klären. Nun ist es in so einer Situation oft nicht möglich alles stehen und liegen zu lassen, um in aller Ruhe die Sachen auszudiskutieren und in der Regel gibt es auch nicht genügenden Abstand zu der Situation. Zum einen, um im Beispiel zu bleiben, muss das Essen auf den Tisch, zum anderen sind die Gemüter meist zu erhitzt, um angemessen über die Situation sprechen zu können. Wenn dies z.B. auf einem Camp passiert, sollte überlegt werden, ob sich an so einem Punkt eine andere Gruppe findet, die das Kochen (temporär) übernimmt. Oder in einer verfahrenen Situation kann es durchaus eine sinnvolle Option sein, dass die Gruppe sich hier (vielleicht auch nur tageweise) trennt. Denn: je länger dieser Zustand anhält, desto mehr wächst die Unzufriedenheit.

Hier sollte nicht falsches Durchhaltevermögen das Leitmotiv sein, sondern das solidarische Miteinander im Vordergrund stehen. Wir wollen schließlich nicht militärisch und leistungsorientiert durchziehen, was wir uns vorgenommen haben, denn wir streben eine politische Utopie an, gemeinsam eine emanzipatorische und solidarische Gesellschaft für alle aufzubauen und dabei muss unser zwischenmenschliches Miteinander im Vordergrund stehen. Daher kann auch davon ausgegangen werden, dass andere auf dem Camp – um bei dem Beispiel zu bleiben – Verständnis dafür haben, dass es notwendig sein kann, die Arbeit erst mal ruhen zu lassen, um wichtige Diskussionsprozesse anzuschieben und durchzustehen.

Es kann dabei auch herauskommen, dass es nicht mehr möglich ist, die gemeinsame Arbeit fortzuführen. Dann sollte eine Lösung gefunden werden, mit der alle leben können. Entweder kochen die einen weiter oder vielleicht auch keine*r. Es kann auch sein, dass sich die Gruppe dreiteilt und die eine immer an den M-Tagen und die andere an den D-Tagen kocht und die dritte am Wochenende oder wie auch immer. Es gibt viele Optionen – auch viele Optionen zu scheitern. Aber sie sollten allesamt solidarisch sein.

Ist die Aktion (auch wenn sie nicht gelungen ist) beendet, ist eine gute Nachbereitung mit allen wichtig. Ursprünglich waren alle mal mit einer (vermeintlich) gleichen Idee angetreten, doch gab es viele unterschiedliche Herangehensweisen der Umsetzung und unterschiedliche Prioritätensetzungen. Möglicherweise haben auch unterschiedliche Kommunikationsstile dazu geführt, dass eine gemeinsame Aktion nicht möglich war. Aber das ist auch nichts Schlimmes (→ siehe Leistungsdruck). Schließlich macht die Vielfalt der Geschmäcker unsere Stärke aus.

6. Erfahrungsbericht aus der Kampagne „Zucker im Tank“

Der Widerstand gegen das rheinische Braunkohlerevier von RWE ist von einer sehr vielseitigen Praxis und einer stark variierenden Wahl der Aktionsformen geprägt. Anknüpfend an Erfahrungen aus dem Kampf gegen Atommüll im Wendland ist für uns diese Vielfalt der Taktiken sehr positiv, birgt aber natürlich auch Konfliktpotential. Durch den Zulauf den Ende Gelände (kurz EG) seit 2015 als Massenaktion bekam, wurde auch ein Potential für andere Formen der Organisierung freigelegt. Unsere Beobachtung war, dass sich viele Menschen durch ihre (teilweise ersten) Aktionserfahrungen mit Ende Gelände ermutigt fühlten, weiter machen wollten und so auch dezentralere Aktionen mit eigenständiger Vorbereitung denkbar wurden.

Um diese Entwicklung zu unterstützen und weil wir uns natürlich erhofften, Widerstand vielseitiger und damit unkontrollierbarer zu machen, entstand die Idee zu einem Aktionslabor. Statt auf eine großangelegte Aktion zivilen Ungehorsams zu setzen, gab es auf dem rheinländischen Klimacamp unzählige Workshops. die eine aktivistische Praxis in Kleingruppen stärken sollten. Die Strategie, Aktionswissen vor allem für Kleingruppen zu teilen, besteht im Rheinland schon sehr lange, zum Beispiel bei den regelmäßigen Skillshare-Treffen im Hambacher Forst.

Allerdings gab es bisher keine bundesweite Mobilisierung inkl. Workshops explizit für Kleingruppenaktionen an vielen Orten in Deutschland. Diese Leerstelle sollte „Zucker im Tank“ füllen. Auf dem Klimacamp (2017), wollten wir als beratende Struktur präsent sein und unser Wissen über die Feinheiten der RWE’schen Infrastruktur, die schönsten Sehenswürdigkeiten im Rheinland, verschiedene Aktionsformen und Erfahrungen mit GeSa, Knast und Repression teilen.

Nachdem Ende Gelände 2017 im Rheinland ihre Blockaden für beendet erklärte, hatten wir auf einmal mit einem Phänomen zu tun, mit dem wir in diesem Ausmaß nicht gerechnet hatten: Das Massenaktionspotential war ausgeschöpft, aber nicht das Bedürfnis weiterzumachen. Sehr viele Menschen, die durch EG angefixt und immer noch heiß darauf waren, dem Kohlemonster ein Schnippchen zu schlagen, schlugen an unserem Zelt auf. Da wir den Ansturm nicht vorhergesehen hatten, waren einige Fragen ungeklärt. Es kamen Bedenken auf, ob es vertretbar ist, sich spontan konstituierende Kleingruppen, die mit wenig bis gar keiner Vorbereitung auf dem Camp waren, mit den nötigen Infos für Aktionen zu versorgen. Wir sahen uns mit der Gratwanderung konfrontiert, einerseits die überall aufbrodelnde aktivistische Energie nicht auszubremsen und andererseits die nötigen Sicherheitsstandards zu vermitteln. Schlussendlich mussten wir dann schweren Herzens einigen Kleingruppen den Rat aussprechen, lieber mit einer längerfristigen Vorbereitung in Aktion zu treten. Auch hier wieder eine Gratwanderung, da es uns nicht darum ging, stark in den Entscheidungsprozess der jeweiligen Gruppe einzugreifen, sondern stattdessen die nötigen Informationen für deren Entscheidungsfindung zur Verfügung zu stellen.

Unser Resümee der Aktionstage 2017 im Rheinland war positiv! Und legte auch den Grundstein für darauf folgende Aktivitäten. Von uns unterstütze Kleingruppen nahmen sich, während sich in Bonn das alljährliche Ritual des großen Palavers der Klimakonferenz wiederholte, das Kraftwerk Weißweiler vor. Mit dem Resultat, dass dieses vollständig vom Netz genommen werden musste und sogar am Folgetag ein Kraftwerksblock nicht wieder hochgefahren werden konnte. Technische Blockaden (Lock-Ons, Tripods etc.) funktionieren, wenn sie aufwändig und schwer zu räumen sind, aber auch, wenn ihr Ort und der Zeitpunkt für Überraschung sorgt. Während der angekündigten Aktionstage im Rheinland ist die bereits eingeplante technische Einheit viel schneller zur Stelle, als wenn unter der Woche während der Klimakonferenz ein Kraftwerk geblockt wird, dass bisher kaum im Fokus aktivistischer Umtriebe stand. Damit hatten wir erreicht, was auch Ende Gelände im Sommer gelungen war, allerdings mit viel geringerem personellem Aufwand – und leider auch nicht mit derselben medialen Aufmerksamkeit.

Sowohl hier, als auch in anderen Bereichen ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Stellen wir uns vor: untereinander vernetzte Kleingruppen versetzen der Maschinerie an verschiedenen Schwachstellen Schläge, das passiert vielleicht in unterschiedlichen Städten. Die einen konzentrieren sich auf die Logistik und blockieren Warenströme in Häfen oder auf Straßen, andere kümmern sich um die dreckige Energie der kapitalistischen Warenproduktion. Das Ganze findet nicht nur an unterschiedlichen Orten statt, sondern ist auch zeitlich aufeinander abgestimmt. Ist eine Blockade geräumt, beginnt an anderer Stelle die nächste. Wenn wir unserer Fantasie freien Lauf lassen, ist noch vieles möglich. Was es dafür braucht, ist ein Selbstermächtigungsprozess in verschiedenen Bereichen und gut vorbereitete Kleingruppen.

Mit unserer Kampagne wollen wir auch weiterhin erreichen, dass sich gerade Menschen, die noch wenig Erfahrung in Kleingruppenaktionen haben, das nötige Wissen und die Fähigkeiten aneignen können, um selbst auch längerfristig direkte Aktionen durchzuführen. Kleingruppen haben den Vorteil, dass oft eine hohe Vertrautheit und Affinität unter ihren Mitgliedern besteht. Ihre Merkmale können gute und intensive Vorbereitung, schnelles Reagieren auf unerwartete Entwicklungen, nachsichtiges und fürsorgliches Verhalten untereinander oder (möglichst) herrschaftsfreie Organisierung sein. All dies sind allerdings keine zwangsläufigen und ausschließlichen Merkmale von organisierten Kleingruppen. Auch in informellen Kleingruppen kann es dazu kommen, dass sich Hierarchien herausbilden und durchsetzungsfähigere Personen den Ton angeben. Da der Zusammenhang aber übersichtlicher ist, besteht mehr Zeit und Raum damit alle Personen gehört werden und Hierarchien abgebaut werden können. Aber auch ein achtsamer Umgang innerhalb der Gruppen ergibt sich nicht zwangsläufig, sondern muss erarbeitet werden. Die Angebote der Kampagne „Zucker im Tank“ fokussieren sich bisher sehr stark auf den aktionistischen Aspekt von Kleingruppen. Fragen, die auch für die Zukunft interessant sein könnten, sollten sich auch darum drehen, wie wir uns um Menschen aus unserer Gruppe kümmern, die ausgebrannt oder traumatisiert sind (→ siehe Out of Action). Wie wir Wege finden um inklusiv zu sein, aber gleichzeitig Fragen von Sicherheit und Vertrautheit nicht außen vor lassen. Welche Möglichkeiten der Konfliktlösung es gibt und vieles mehr. Eins ist auf jeden Fall sicher, wir kommen wieder und werden mehr.

Mehr über uns findet ihr auf www.zuckerimtank.net

5. Möglichkeiten einer (schnellen) Entscheidungsfindung oder „Ach du Scheiße, da ist ne Lücke in der Bullenkette!“

Konsens und Veto
Erstmal vorweg: Wir meinen, dass es wichtig ist, innerhalb einer Bezugsgruppe im Konsens zu entscheiden, sonst kann mensch auch einer Partei, einer Politsekte oder einem Verein beitreten. Zum Konsens noch ein paar Ergänzungen, da jetzt alle an ewig lange Diskussionen denken, bis alle „ja“ sagen und das letzte Komma auf dem Flugblatt eine halbstündige Diskussion erfordert hat und die Farbe vom Stoff für das Transparent zum Politikum wird… So muss es nicht sein! Hinter doofen Endlosdiskussionen stehen oft andere Gründe als die vordergründig vorgetragenen, im schlimmsten Fall persönliche Zerwürfnisse, die dann über die Schriftart auf dem Plakat ausgetragen werden. Konsens heißt für uns nicht unbedingt, dass alle einer Meinung sind, aber immer, dass alle mit der Entscheidung leben können und niemand mit ihren Bedürfnissen übergangen wird. Wichtig ist, dass keine*r ein Veto ausgesprochen hat! Dabei gehen wir davon aus, dass das Veto wirklich der letzte Weg ist, eine längere Diskussion zu beenden, weil mensch hier keine Kompromisse eingehen kann. Einerseits sind alle aufgefordert, sensibel zu sein, wenn sich Leute trauen, ein Veto auszusprechen. Andererseits solltet ihr beobachten, was passiert, wenn ständig ein Veto eingelegt wird (in welchen Situationen etc.) und ob der Punkt nicht erstmal wieder auf der Ebene darunter diskutiert werden sollte oder ein grundlegenderes Problem vorliegt.


Für eine Konsensentscheidung hat sich folgendes Vorgehen als sinnvoll herausgestellt:
1. Problem klären. Verständigt euch über die Situation und eure Einschätzung der Lage.
2. Entscheidungsfrage formulieren. Genau die Frage klären, über die jetzt ein Konsensentscheid ansteht. Unklare Fragestellungen führen zu unklaren Lösungen.
3. Runde, in der alle ihre Bedürfnisse, Ängste und Wünsche zum Thema äußern. (Hier noch keine Lösungsvorschläge)
4. Lösungsvorschläge sammeln. Genau formulieren.
5. Vorschläge diskutieren.
6. Konsensvorschlag herausarbeiten.
7. Runde, in der ein Vorschlag nach Konsensstufen persönlich bewertet wird.
8. Konsens? Wenn nicht, dann zurück zu 4.


Entscheidungen sind Prozesse
Ein Konsens kann in einer Stresssituation auch einfach und im besten Falle durch Blickkontakt hergestellt werden. Insgesamt ist es uns wichtig, den Weg zu Entscheidungen als einen Prozess zu betrachten. Es gibt zwar Techniken, die in vielen Gruppen funktionieren, aber das heißt ja nicht, dass ihr darauf Lust habt. Es heißt nicht umsonst „Bewegung kommt von bewegen“, nicht nur körperlich, sondern auch im Kopf. Viel Spaß beim Experimentieren, Diskutieren, Lachen, Kämpfen, Reden…

Es gibt natürlich die unterschiedlichsten Entscheidungen, für die sich unterschiedlich viel Zeit genommen werden kann und sollte. Um konstruktiv zu einer Entscheidung zu kommen ist es gut, sich erst einmal klar zu machen, was die Fragestellung ist. Um was soll es bei der Diskussion gehen und was muss entschieden werden? Lieber nochmal einen Schritt zurück und prinzipiell reden, als sich dann im Detail zu zerreden, wobei das Ergebnis oft ist, dass alle genervt sind. Bei „Beschlüssen” auch mal nachfragen, ob alle wirklich das gleiche meinen. Zu Themen, die alle betreffen, kann ein „Blitzlicht” gut funktionieren. Dort bekommen alle der Reihe nach den Raum, etwas zu sagen und können hören, wie jede*r zu dem Thema steht. Falls das gut zusammengefasst wird, kann daraus eine konkrete Frage zum weiter Diskutieren entwickelt werden.

Es ist auch hilfreich, wenn Menschen in der Runde sagen, dass das Thema von ihnen als nicht so wichtig erachtet wird und es dann auch okay ist, dass nur die es besprechen, denen es wichtig ist.

Schnelle Konsensentscheidungen in stressigen Situationen – ein Widerspruch?
Vielleicht warst Du/wart ihr schon mal auf einer Demo oder Aktion, ihr wolltet eine Hausverwaltung besuchen, eine Bundeswehrkaserne blockieren oder ein blödes Lobbyist*innentreffen stören? Oder ihr wollt eine Nazidemo stören und habt euch was Nettes überlegt, da ihr ja eh vor der Bullenkette herumsteht und dann wenigstens nette Bilder rüberkommen sollen. Und nun das Unmögliche: in einer Seitenstraße stehen nur wenige Cops und der Weg zur Naziroute ist frei!

Tja, was tun? Eine schnelle Entscheidung muss her! Wir wollten doch mehr als Bilder und eine direkte Aktion ist vielleicht doch sinnvoller. Schön ist es dann, mit Leuten unterwegs zu sein, die sich gut kennen ein ähnliches Level haben oder spontan den gleichen Gedanken haben. Letzteres passiert selten, wenn ihr zum ersten Mal zusammen unterwegs seid.

Es geht in solchen Situationen viel um Vertrauen, ein Gefühl füreinander oder ein spontanes „das versuchen wir jetzt einfach“. Gerade in solchen Momenten ist es wichtig, keine*n in der Gruppe zu „überrennen“ oder mit zu zerren gegen ihren/seinen Willen und sensibel zu sein für ein leises „das will ich nicht“. An solchen Punkten ist es wichtig, keine*n alleine stehen zu lassen. Schließlich wollt ihr zusammen weiter kommen, das heißt dann eben auch, dass keine*r allein gelassen wird!

Wichtig um einen Minimalkonsens herzustellen ist es, mit jeder Person wenigstens kurz Blickkontakt herzustellen und mitzukriegen, ob eine Person vielleicht Angst hat oder ablehnend reagiert. Es ist sehr wichtig, solche Signale nicht zu ignorieren. Wenn Blickkontakt signalisiert, alle sind grün mit dem Vorschlag, dann kann es losgehen. Und gut miteinander in Kontakt bleiben.

Es kommt auch vor, das ihr als Bezugsgruppe innerhalb eines größeren Aktionszusammenhangs Entscheidungen treffen müsst. Wenn sich spontan zwei Gruppen bilden – durchbrechen auf der einen, „lieber was anderes machen“ auf der anderen Seite –, warum sich nicht trennen? Das ist kein Statement zum „mensch kann sich ja beliebig teilen, und nachher sind dann alle in Zweiergruppen unterwegs“. Aber auch das kann durchaus eine Option sein. Wichtig ist mitzukriegen, ob es allen damit gut geht und dass sich nachher wieder Alle zusammenzufinden, um diese Wahrnehmung nochmal zu überprüfen.

4. Vorbereiten und Nachbereiten von Aktionen

Der Schritt der Vorbereitung
Erstmal inhaltlich. Bevor ihr mit eurer Bezugsgruppe konkrete Planungen für eine Aktion startet, ist es gut, sich darüber zu unterhalten, was das Ganze politisch soll, was ihr damit sagen/zeigen/vermitteln wollt. Das können Fragen sein wie „Machen wir eine Blockade, um eine Abschiebung zu verhindern, oder wollen wir vorher politischen Druck aufbauen, damit sie gar nicht erst losgeht?“; „Ist es sinnvoll, den Verkehr um die Häuserräumung zu stören oder besser, das Haus zu besetzen?“ Es geht darum, die Aktion in einen politischen Kontext zu stellen und außerdem klar zu kriegen, was ihr wollt. Z.B. wollt ihr als Kleingruppe autonom aktiv werden oder in einer Massenaktion Akzente setzen?

Wenn es dann eine Idee gibt, ist noch viel zu bereden: Wer besorgt den Stoff für Transparente? Wann wollen wir malen? Gab es schon mal ähnliche Aktionen? Was wollen wir anders machen? Ihr solltet überlegen, ob Teile der Performance geübt werden müssen. Um sich bei unübersichtlichen Situationen wiederzufinden bietet es sich an, einen Bezugsgruppennamen zu überlegen: Den könnt ihr laut rufen, um euch wiederzufinden.

Ein Teil der Überlegungen, der gerne vergessen wird: Wie weit wollt ihr zusammen gehen und wann wird abgebrochen? Klar kann die Gruppe nicht alle Eventualitäten durchgehen, aber ein paar Szenarien in Gedanken durchspielen. Was das sein kann, ist natürlich davon abhängig, was ihr wo vorhabt. Das kann von der besagten Lücke in der Polizeikette über die Polizei prügelt in die Demo rein, Nazis laufen in der Demo mit oder oder oder sein. Es ist auch gut schon vorher zu verabreden, wo sich eure Gruppe im Notfall trifft, falls Ihr getrennt wurdet. Vereinbart also einen Treffpunkt. (Vielleicht der Ort, an dem sich alle das letzte Mal bewusst wahrgenommen haben.)

Nachbereitung 1: direkt nach der Aktion, zurück im Camp, im Café oder wo auch sonst – in einer ruhigen Ecke. Mal treffen, um ein erstes Resümee zu ziehen, ein wenig zu reden, was so war und wie es einer*m gerade geht oder um einfach runter zu kommen und Pause zu machen!

Nachbereitung 2: Wenn Ihr euch regelmäßig trefft, könnt ihr beim nächsten Plenum die Aktion besprechen. Wenn es eine einmalige Gruppe ist, am besten mit etwas zeitlichem Abstand treffen, um das Gelaufene zu reflektieren. Mit etwas Ruhe und Abstand ist es sinnvoll noch einmal die Aktion aufzuarbeiten: was war prima, womit ging es mir nicht so gut, was waren einfach coole Erlebnisse, ist es so gelaufen wie wir uns das gewünscht hatten? Was kann ich / können wir auch anders/besser/effektiver (klingt in manchen Ohren vielleicht komisch) machen? Oder nächstes Mal was ganz anderes machen?

Da sollte es nicht nur um Techniken gehen, sondern auch um Zusammenarbeit in der Gruppe: Habt ihr genug aufeinander geachtet oder müsst ihr euch vorher besser absprechen? Wenn ihr es schafft, durch Reflexion und ehrlichem Umgang miteinander auch die Nachbereitung zu einem positiven Erlebnis für alle zu machen, habt ihr eine gute Grundlage für neue gemeinsame Unternehmungen.

Nachbereitung 3: Aus eurer Gruppe hat eine Person eine Anzeige bekommen. Keine*r wird damit allein gelassen! Kümmert euch gemeinsam um Rechtshilfe, organisiert Solipartys oder sonst wie Soligeld, begleitet die Prozesstermine solidarisch. Menschen werden auch manchmal von Erlebtem traumatisiert und brauchen Hilfe. Kümmert euch umeinander, schafft einen Raum zum Reden, zum Runterkommen… (siehe Text: Out of Action)

Und nicht zuletzt: Erfolgreiche Aktionen können auch mal ordentlich gefeiert werden!

3. Ein Rezept für 5-16 Personen oder: „Gibt es einen Baukasten für Bezugsgruppen?

Fährst du immer mal wieder alleine auf Aktionen und fragst dich, wie du Gleichgesinnte aus deiner Stadt finden kannst, mit denen du einen kontinuierlichen Zusammenhang aufbauen kannst? In diesem Kapitel geht es um die Frage: „Wie kannst du / könnt ihr eine passende Gruppe finden?” Vorweg: es gibt zum Glück nicht den einen Weg, wie eine Bezugsgruppe entsteht. Viele Bezugsgruppen sind aus WGs oder offenen Politzusammenhängen entstanden. Aber es können auch einfach Freundeskreise, Schüler*innen die sich kennen, Studis/Arbeitskolleg*innen, die merken, dass sie ja eh immer auf die gleichen Demos rennen, oder oder oder sein. Des Öfteren gibt es auf größeren Aktionen oder bei der Vorbereitung darauf Aktionstrainings, bei denen du Leute aus deiner Stadt kennenlernen kannst.

Du kannst dich erst mal in deinem Freundeskreis umhören, ob noch wer zu dieser Aktion fahren möchte. Falls ja, solltet ihr klären, was euch bewegt dorthin zu fahren, was ihr für Ideen habt und was jede*r von euch dort tun möchte. Denn als erstes müsst ihr herausfinden, ob das zusammenpasst. Wenn euch bei dem Treffen klar wird, dass ihr ganz unterschiedliche Ideen habt, z.B. von „ich will da zur Demo“ bis „ich will da Camp-Struktur machen“, ist das nicht die beste Voraussetzung. Es bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass es gar nicht funktionieren kann. Vielleicht kommt ihr doch zusammen und könnt ein Konzept entwickeln, in dem sich alle wiederfinden. Außerdem ist es gut sich die Frage zu stellen: wieso will ich das und nicht jenes machen? Dadurch kann sich evtl. der Blickwinkel ändern und ihr könnt euch auch für anderes öffnen.

Sich vorbereiten
Wenn sich dann bei euch das Gefühl eingestellt hat, dass es passend scheint, ist es sinnvoll, wenn ihr euch regelmäßig trefft. Wie oft, ist natürlich eure Sache. Das kann von sich-wöchentlich-treffen bis sich-im-Vorfeld-zweimal-ein-langes-Wochenende-nehmen sein. Das ist auch davon abhängig, was ihr vorhabt und wie gut ihr euch kennt. Aber lieber etwas zu oft treffen, als dass es nachher dann heißt „Wir hatten gar keine Zeit, das zu besprechen.“

Und so sind wir auch beim wichtigsten Werkzeug! Reden und Zuhören. Das klingt so schön banal, und irgendwie ist es das auch. Einige Gruppen fangen ihre Treffen mit einer „wie geht es mir gerade/Emo-Runde“ (→ Glossar) an. Das ist eine kurze Runde zum Stand der persönlichen Dinge. Dabei muss nicht jede*r was sagen, aber es kann auch ein Ort während des Treffens sein, um sagen zu können, warum wer von euch gute oder schlechte Laune hat, was ihr/ihm vom letzten Mal noch im Magen liegt oder was er/sie gerne einfach Allen mitteilen möchte. Danach könnt ihr vielleicht besser verstehen, warum XY in der Diskussion schnell gereizt ist oder auch alles total leicht sieht, da eh alles gerade bei XX gut läuft.

Miteinander reden – und wie?
Um mit dem Werkzeug „Reden und Zuhören“ gut umgehen zu können, braucht es meistens viel Übung. Klar hat jede*r eine Stimme und kann irgendwie zuhören, aber die einen können gut reden (manchmal auch ohne wirklich etwas zu sagen) und die anderen hören das, was sie möchten. Das klingt ziemlich böse und wollen wir auch erst mal keiner*m unterstellen! Oft sind es soziale und gesellschaftliche Rollen, die wir so gelernt haben: in der Schule, als Kind, in der Beziehung zu Freund*innen oder auf der Arbeit.

Aber das ist durchaus veränderbar. Es ist Teil unserer Utopie, dass wir als Menschen innerhalb einer Gruppe wachsen und uns gegenseitig weiterbringen. Dafür muss mit den gesellschaftlichen Rollen auch umgegangen werden – in diesem Fall mit dem jeweiligen Redeverhalten. Es ist gut sich darüber einmal Gedanken zu machen: wer fällt wem ins Wort, wie kann dafür gesorgt werden, dass Alle was zum gerade anstehenden Thema sagen, warum muss ich selbst immer so lange reden…

Das Thema ist sehr komplex und hat viele Seiten. Aber es ist gut, sich zumindest auf Basics zu einigen wie: ausreden lassen und/oder bei kontroversen Diskussionen jede*n zu Wort kommen zu lassen. Auch stummes Kommentieren, z.B. immer nicken, wenn die Beziehung was sagt, immer was in die Hand nehmen und lesen, wenn wer anders was sagt, sind Formen von Dominanz.

Ablauf der Treffen
Wie ihr das/die Treffen gestaltet, ist ganz eure Sache. Ihr müsst einfach sehen, wie strukturiert ihr es braucht. Ob es ohne Redeleitung oder Tagesordnung geht, hängt oft von der Gruppengröße ab und davon was ihr machen wollt – aber es ist gut auch mal zu experimentieren. In Bezugsgruppen ist es unserer Meinung nach wichtig im Konsens zu entscheiden, was nicht heißt, dass immer alles bis ins letzte ausdiskutiert wird und dass jede Person alles richtig finden muss.

Innerhalb der Bezugsgruppe sollte ein Großteil beschlossen werden und die Anderen sollten damit einverstanden sein. Falls wer vom Vetorecht Gebrauch macht, muss das zu Gehör kommen und ein Umgang damit gefunden werden. Sich innerhalb einer Bezugsgruppe an der Mehrheitsentscheidung zu orientieren, wenn eine Person damit Bauchschmerzen hat, hat nichts mit gleichberechtigter Beteiligung zu tun. Und auch mit dem Recht ein Veto einzulegen sollte bewusst umgegangen werden. (Zu Entscheidungsfindungsprozessen gibt es in dem Heft auch noch extra Tipps.)

Oft wird in Bezugsgruppen über Quotierungen geredet. Quotierte Redelisten können ein Instrument sein, um strukturelle Machtverhältnisse sichtbar zu machen und im besten Fall abzumildern. Meistens geht es bei der Frage von Quotierungen um das Redeverhältnis von Männern* und Frauen*. Durch eine quotierte Redeliste kann besonders in größeren Diskussionszusammenhängen eine Sensibilisierung für die in der Gruppe bestehenden Machtverhältnisse in Bezug auf die Kategorie Geschlecht erreicht werden. Leider wird dadurch aber auch eine Zweigeschlechtlichkeit festgeschrieben. Außerdem ist Geschlecht nur eines von vielen Machtverhältnissen. (Es gibt bei der Bäuer*innen-Organisation La Vía Campesina beispielsweise auch eine Quotierung nach Alter, um jüngeren Menschen mehr Platz in der Diskussion zu geben.) Eine Quotierung hat also Vor- und Nachteile. Ob dieses Instrument sinnvoll ist, kommt auf den Diskussionszusammenhang an.

2. Banden bilden – Versuch einer allgemeinen Einführung

Wir leben in einer Gesellschaft, in der die Trennung systematisch verfestigt und institutionalisiert wird. Das kapitalistische Kommando vereinzelt die Menschen, trennt sie von ihrem Arbeitsprodukt, bestimmt darüber, was produziert wird und wann für jede*n einzelne*n morgens der Wecker klingelt. Die rassistische und sexistische „Normalität“ trennt in deutsch und nicht-deutsch, in Mann und Frau. Es entsteht eine starre Welt, in der Menschen anhand von Zuschreibungen beurteilt werden, in der Menschen Identitäten haben wie Ohren und Nase, quasi „von Natur aus“. Alles, was sich dem nicht unterordnen will, wird dennoch vereinnahmt und in Kategorien gepresst – jedenfalls wird das versucht.

Im Gegensatz zu dieser starren Welt verweist linke Kritik auf die Möglichkeit, es anders zu machen, sie verweist auf die Möglichkeit, die Spielregeln nicht zu akzeptieren, den Spieltisch zu zertrümmern – theoretisch wie praktisch. Das bedeutet zum Beispiel, das neoliberale t.i.n.a-Prinzip – „there is no alternative – es gibt keine Alternative zum kapitalistischen Markt!“– als billigen Trick, den Sachzwang von Konkurrenz und Wettbewerb als schlechten Witz und die starre Welt von Identität und Trennung als konstruiert und vor allem als dumm und unmenschlich zurückzuweisen.

„Das ist erstmal Kopfrockerei, was bedeutet das denn konkret?“ könntet ihr jetzt fragen. „Wie kämpfen wir konkret gegen diese starre Welt von Herrschaft und Normierung?“ Die einzige sinnvolle Antwort, die (auch) uns als Autor*innenkollektiv darauf bisher einfiel, lautet: Wir nehmen unser Leben selbst in die Hand. Wir gestalten unsere Beziehungen untereinander anders, als es uns die gesellschaftliche Normalität nahe legt. Wir bekämpfen Kategorien wie „Geschlecht“ oder „Nation“, „Rasse“ oder „Klasse“. Wir entwickeln eigene Maßstäbe. Wir versuchen es zumindest. Das ist alles andere als einfach. Wir orientieren uns zum Beispiel nicht an der Maßgabe „Leistung“.Wir entwickeln einen eigenen Rhythmus, unsere eigene Zeit, Dinge zu tun: Flugblätter schreiben, frühstücken, Kampagnen aushecken, Aktionen vorbereiten, tanzen gehen etc. Wenn Diskussionen dabei manchmal ewig lange dauern, weil alle zu Wort kommen müssen, ist das nicht unproduktiv, sondern notwendig. Trotzdem bleibt das selbst bei diesem kleinen Beispiel ein ständiges Ringen, bleibt die gesellschaftliche Normalität ständig präsent: „Schnell abstimmen jetzt!“ heißt es dann. „Dieser Punkt ist doch nebensächlich, zum nächsten Punkt der Diskussion! Wir können auf XY jetzt keine Rücksicht nehmen…“

Dieser Prozess, die Diskussionen, in denen wir Beziehungen zueinander aushandeln, kann auch (neben der Tatsache, dass sie für Demos und Aktionen immer wieder ganz praktisch sind) der emanzipatorische Kern von Zusammenschlüssen sein, also von dem, was in dieser Broschüre Bezugsgruppe genannt wird. Einfach ausgedrückt, sind Bezugsgruppen ja das Resultat eines Prozesses, in dem Leute zusammenkommen, um die „Realität“ nicht zu akzeptieren; um gegen etwas aktiv zu werden – G20 Gipfel, Frontex, AfD, Kohleabbau, CO2-Emissionen, was auch immer. Letztlich landet mensch dann, ausgehend von der Empörung und der Kritik an einzelnen Schweinereien, wieder beim „großen Ganzen“, bei der starren Welt aus Kategorien wie Kapital, Staat, Geschlecht etc. Deren Überwindung, die Überwindung von Machtverhältnissen, kann aber nicht im „großen Sprung“ erfolgen. Sie kann nicht delegiert werden, auch nicht, wie wir immer wieder vor Augen geführt bekommen, an Parteien. In der Frage der gesellschaftlichen Befreiung gilt weiterhin: „Das müssen wir schon selber tun!“ Setzen wir der erstens dummen und zweitens falschen Annahme, die Geschichte sei zu Ende und jede ihres Glückes Schmied, ein munteres „Zusammen sind wir unausstehlich!“ entgegen.
Banden bilden. Das wäre ein guter Anfang.

ClownsArmy

Das Rebel Clowning wurde erstmals anno 2003 anlässlich der Audienz von George W. Bush im UK von einer Gruppe linker, nicht-autoritärer Aktivist_innen entwickelt. Sie prägte das Konzept der Clandestine Insurgent Rebel Clown Army – kurz C.I.R.C.A. (www.clownarmy.org). Diese Konzept verbindet die uralten Traditionen der Kunst, ein Clown zu sein („Clowning“) mit den Prinzipien der nicht gewalttätigen Direkten Aktion und richtet sich vornehmlich gegen die kapitalistisch geprägten, ungerechten und tödlichen Formen der so genannten Globalisierung, gegen Krieg, Atomkraft und Atom-Mächte, gegen Militarismus und Militarisierung, gegen soziale, ökologische, sexistische Ausbeutung oder Ausgrenzung und gegen alle Rassismen. Es reiht sich damit in die Vielfalt kreativen Strassenprotestes ebenso ein wie in die Fülle von emanzipatorischen Ausdrucksformen des „Theaters der Unterdrückten“ nach Augusto Boal.

Mittlerweile ist das Rebel Clowning in vielen Städten und Ländern bekannt – und so tauchten diese in Camouflage, Olivgrün und dazu kontrastierend schrilles Bunt gekleideten, lauthals durcheinander schreienden und jede Situation zum clownesken Spott und Spiel nutzenden Rebell_innen bereits bei Aktionen oder Demonstrationen in etwa 25 Ländern auf!

Auch wenn die bislang bestehenden Clowns Einheiten oder Bataillone für sich je einen eigenwilligen und speziellen Ausdruck entwickelt haben, so bestehen doch für alle die „Basics“ – oder die Grundausbildung – nach dem Original-CIRCA-Rezept weiter fort – einerseits als Trainings-Einheiten, andererseits aber auch als Pool von Verabredungen für Kampfgenossinnen aus unterschiedlichen Gruppen oder Sprachräumen. Deshalb liegt ein Schwerpunkt vieler Einheiten im Durchführen von Workshops und Trainings. Andere Gruppen konzentrieren sich auf gut vorbereitete, selbst entwickelte und spektakuläre bis kunstvolle Aktionen. Und es gibt Gruppen mit regelmäßigen Treffen, Plena und Trainings. Im Idealfall bilden jedoch alle Clown Army Units für sich Bezugsgruppen. Für die „Gaggles“, die kleinen EinsatzEinheiten? von etwa 5 bis 10 Rebel Clowns, ist diese Form der Struktur allerdings unerlässlich – und sei es auch nur für eine spontane Aktion von wenigen Minuten!

Natürlich haben die Rebel Clowns ihre Sonderbedingungen – sie sollten z.B. nicht in “unauffälligen Klamotten” zum Einsatz erscheinen – oder z.B. kann ihnen die hübsche Maske aus Fettfarben bei Tränen- oder Reizgas-Einsätzen zum Verhängnis werden, – aber auch die „water-based“ Schminke lässt sie im Falle eines Wasserwerfer-Einsatzes oder Regenschauers gar schauerlich aussehen. Darum meiden auch viele Clowns allzu heiße Kessel, sie treten den Rückzug an und fühlen sich ganz elend, wenn der Spaß vorbei sein soll… Aber noch was: Da die Clown Army Rebels selbstverständlich nur die höchsten Dienstgrade und militärischen Ränge haben, machen extra gebastelte Clownsausweise (neben der Mitführung von Zivil-Pässen) bei jeder Kontrolle besonders viel Gaudi…

Prinzipiell sind die Vorbereitungen und konkreten Verabredungen für ein Gaggle sehr bedeutsam. Das Rebel Clowning ist eine höchst emotionale und energie-aufgeladene Angelegenheit! Clowns machen, was ihnen gerade in den Sinn oder in die Sinne kommt – eine Idee oder ein Spiel ist für sie sofort umzusetzen – ein lustiger Appetit wird zum unstillbaren Hunger nach Erlebnis – ihre Herzen wollen alles und schenken pausenlos Liebe… Das bedeutet: Es passiert bei Einsätzen häufiger, dass sie sich verspielen, an Inspirativem hängenbleiben, im tanzenden Taumel verlustig gehen oder sich im leidenschaftlichen Getümmel selbst vergessen. Sie sind aber dadurch glücklicherweise weder berechenbar noch diktierbar noch können sie zur strategischen oder ideologischen Manövriermasse werden!

Vor allem ist das ganze Unternehmen abhängig von abgrundtiefem HUMOR, gnadenloser ALBERNHEIT und absolut unverständlicher VERWIRRUNGSTAKTIK!

FÜR FRIEDEN, FREIHEIT und CLOWNESKEN WIDERSTAND!

RUN AWAY FROM THE CIRCUS – JOIN THE REBEL CLOWN ARMY!

Samba Action Band

SAMBA!

Von der Action Samba Band Berlin: Rhythms of Resistance oder kurz R o R. Sie ist Teil einesNetzwerkes politischer Trommelgruppen, die Demonstrationen oder direkte Aktionen unterstützen und veranstalten. Die Idee, Musik als Aktionsform zu nutzen, ist keine neue: In den 1970er Jahren gründeten sich in Brasilien Afro Block Trommelgruppen. Diese entwickelten sich aus den ärmsten Stadtteilen und wurden zu einer Bewegung des Widerstandes und einer Quelle des Selbstvertrauens, die von den aus dem Boden sprießenden Sambaschulen weltweit kommerzialisiert wurde. Diese Musik kombiniert mit TänzerInnen und dem Konzept der „tactical frivolity“ bildeten die Grundlage für ein Aktionskonzept, das während des IWF/ Weltbank-Gipfeltreffens 2000 in Prag zum ersten Mal große Anwendung fand: Pink & Silver.

Dadurch inspiriert haben sich seitdem Bands in ganz Europa und darüber hinaus entwickelt und vernetzt. Der Straßenkarneval ist zu einer weit verbreiteten Aktionsform geworden.

Wir sind eine größere Gruppe mit relativ unverbindlichem Engagement der einzelnen. Je nach dem, wer sich gerade einbringen kann und Verantwortung übernimmt, verändert sich das Gesicht der Band. Die Sambaband ist also eine Art kreative Protestplattform, die vielfältig genutzt wird. Wichtig ist für uns, dass alle Bandmitglieder wichtige Entscheidungen mittragen. So wenden wir dafür die Konsensform zur Entscheidungsfindung an. Wir treffen uns einmal in der Woche zur Probe und zum Plenum, so dass ein regelmäßiger Austausch und Spielpraxis möglich wird. Wir haben eine politische Grundbasis, der wir mit unserem eigenen Wirken gerecht werden wollen. Antisexistisch, antirassistisch, antihierarchisch. Die Atmosphäre in unserer Band ist ziemlich entspannt und angenehm, weil wir einen höheren Frauenanteil als Männeranteil haben (um es mit Sozialisationsgruppen zu beschreiben). Wichtig für die Durchführung von Aktionen ist die Bildung von kleinen Bezugsgruppen von zwei bis vier Leuten, die aufeinander während der Aktion besser achten können. Keine soll sich allein mit Bedürfnissen oder zum Beispiel Ängsten fühlen. Bezugsgruppen sind sehr wichtig für das Gefühl von Geborgenheit und gemeinsamer Sorge. Bezugsgruppen finden sich bei uns unter folgenden drei Hauptkriterien: Freundschaft und Vertrautheitsgrad, Instrumentengruppen ( z.B. die Spieler_innen von kleinen und großen Instrumente zusammen, damit die mit den kleinen denen mit den großen beim Tragen helfen können, falls gerannt werden muss – da sind die mit den großen Instrumenten nämlich stark eingeschränkt in Geschwindigkeit und Mobilität) und als drittes, fast wichtigestes Kriterium steht das Risikolevel, welches Einzelne in Kauf zu nehmen bereit sind: Wie weit will ich gehen? Wo sind meine Grenzen? Würde ich mich auch verhaften lassen? sind die entscheidenen Fragen, damit sich Menschen mit ähnlichen Interessen finden. Wichtig ist uns, dass niemensch von uns, in keiner Minute allein ist, wenn es brenzlige Situationen gibt. Denn: – Du bist nicht allein, sonst machen sie dich ein.

NUH

Auf keinen Fall eine Kader-Organisation

Irgendwann Ende der 90er Jahre war ja die Einsicht weit verbreitet, dass unberechenbare, direkte Aktionen gegen Atomtransporte der beste Weg sei, für die Stilllegung aller Atomanlagen und überhaupt zu streiten. So auch in unserer kleinen Stadt. In dieser Zeit entstand auch der, so nenne ich das jetzt einfach mal, „nette, unkomplizierte Haufen“ (NUH => Glossar). Jetzt kann mensch ja wild und entschlossen sein, Atomtransporte zu stoppen, meist fehlt aber irgendwas Entscheidendes: eine gute Idee, andere wild entschlossene Leute, Werkzeug, Autos, Geld und Erfahrung. Und das war das gute am NUH, hier gab es irgendwie alles. Das lag vor allem daran, das der NUH aus ca. 25 sehr unterschiedlichen Leuten bestand. Ein paar von denen hatten eine verwegene Idee gehabt und Freundinnen und Freunde angesprochen, die wiederum Freundinnen und Freunde angesprochen hatten. Für das, was wir vorhatten, war NUH perfekt. Die Aktion war ziemlich kompliziert und dadurch, dass Atomtransporte auf der Schiene fahren, auch nicht ungefährlich. Das führte dann dazu, dass es viele unterschiedliche Aufgaben gab: Leute für ein Ablenkmanöver, Leute, die den Überblick behalten, Leute, die mit der Presse oder den Bullen reden (die ja oft leider auch anwesend sind), Leute, die die Aktion an sich durchführen und welche, die für eben diese da sind, auf sie aufpassen, sie mit Schoki versorgen etc. Das führte aber auch dazu, und dass finde ich im Nachhinein fast genauso wichtig wie die (gelungene) Aktion, dass es die Monate davor und danach total viel zu basteln, zu recherchieren und – ganz wichtig – bereden gab. Ob und wie dieser Diskussionsprozess gelingt, das finde ich das allerwichtigste beim Thema Bezugsgruppe.

NUH traf sich alle zwei Wochen, zum Teil öfter. Wir waren, wie gesagt, 25 Leute, kannten uns zum Teil gut, zum Teil gar nicht. Einige machten schon länger Politik und hatte einige Erfahrungen gemacht, für andere war es mehr oder weniger die erste Aktion. Einerseits muss mensch diesen Unterschied, wie ich finde, anerkennen, er darf allerdings auf keinen Fall zu einer Trennung in Kader und Fußvolk führen. Es liegt wohl an allen, dass das hinhaut. Beim NUH fand ich den Diskussionsprozess ganz gelungen. Für mich war das eher neu und aufregend, trotzdem waren alle dummen Fragen voll OK, es gab nicht dieses Rumgetue, dass du cool sein musst und ganz abgeklärt. Wenn das anders läuft und einzelne die Diskussion dominieren oder ein Teil der Leute sich nicht traut, Kritik zu üben oder nachzufragen, dann ist das absolut fatal. Weil es uns doch darum geht: Rauszukommen aus Verhältnissen, die uns bestimmen, rumkommandieren, uns aussaugen. Die Politik und die Aktionen, die wir machen und gestalten, sollen ja gerade Mut und Hoffnung machen und zeigen, dass es anders geht, dass wir nicht nur Räder, sondern auch Sand im Getriebe sein können.

In diesem Sinne war NUH für mich wichtig: Es war unsere, also auch meine Aktion. Wir haben sie ausführlich ausgewertet, was zum Einen extrem lustig war, zum Anderen einfach dazugehört, weil das alles eben ein zusammenhängender Prozess ist, in dem wir voneinander lernen, unsere „Arbeit“, das, was wir zusammen machen, weiterentwickeln – nach unseren Vorstellungen, nicht mit Blick auf das Strafgesetzbuch oder dumme Kategorien wie Kapital oder Geschlecht oder was weiß ich. Naja, und in diesem Sinn ist dieses Zusammenkommen dann auch revolutionär. Eine Revolution ohne großen Rumms, ganz alltäglich, auf den ersten Blick auch ganz einfach – und wirklich großartig.

Bezugsgruppe oder Aktionsgruppe? Ein Bericht

Spätsommer. Eine mail in meinem Postfach, die vom nahenden Castor spricht. Und eine, die darauf antwortet und zu einem Aktionsplanungstreffen einlädt. Zwei Wochen später das Treffen. Großes Hallo allerseits. Haben uns in dem Kreis nun schon mehrere Monate nicht mehr getroffen. Freude des Wiedersehens. Motivation, diesmal den Castor wirklich zu stoppen, genug vorhanden. Letztes Jahr war es ja schon ganz erfolgreich…, aber dieses Jahr erst! Wir zögern nicht lange, unsere Ideen sprudeln zu lassen. Eine nach der anderen durchkreist unsere aktionslüsterne Runde. Es wird viel gelacht, viel gesponnen. Aber so richtig festhalten können wir uns an keinem der Vorschläge. Immer auch sofort eine Skepsis, sofort ein Vorbehalt. Nichts reißt uns wirklich vom Hocker. Keine Idee findet allgemeine Zustimmung.

Und doch favorisieren wir letztendlich einen Vorschlag und fangen an, uns genauer mit ihm auseinanderzusetzen. Er scheint durchführbar und die erste Delegation wird ins Wendland geschickt, um „die Lage zu checken.“ Sie kommt zurück. Wir machen ein spontanes Treffen. Voller Neugier warten wir auf die Ergebnisse. Sie sind eher ernüchternd. Neuer Zweifel, neue Skepsis unter einem Teil der Gruppe. F. steigt aus, er hat Stress mit seinem Job, wünscht uns gutes Gelingen. Ein Dämpfer. Aber wir wollen was machen. Jetzt sind wir schon so weit, die Zeit drängt, nur wenige Wochen und er rollt. Ihn, den es aufzuhalten gilt. Wir treffen uns noch mal und stellen alles in Frage. Keine Entscheidung. Halbe Woche später noch ein Treffen. Zwei, die es unbedingt machen wollen, setzen sich durch. Bei den anderen Motivationsschwund, aber sie bleiben trotzdem erstmal mit dabei. Zweite Wendlandtour. Ergebnisse ähnlich ernüchternd. Wachsende Skepsis in der Runde. Aber wieder eine Stimme, die ruft: „Aber jetzt sind wir doch schon so weit, jetzt haben wir schon soviel in unsere Idee investiert, jetzt können wir doch nicht einfach von vorne anfangen. Zeit ist auch keine mehr.“ Die anderen lassen sich überreden, überzeugen aber lassen sie sich nicht. Manch eineR fängt an, sich nach anderen Optionen umzuschauen. Sucht nach einer neuen Gruppe. Bezugs- oder Aktionsgruppe? Wir lassen eine Konstruktion anfertigen. Einen Tag vor unserem gemeinsamen Aufbruch ins Wendland ist sie fertig. Sie wird mitgenommen. So gut wie niemand von uns hat sie in ihrer realen Ausfertigung gesehen. Egal, sie kommt mit. Jetzt, wo wir sie doch extra gebaut haben, jetzt, wo wir doch nichts anderes geplant haben! Im Wendland: erneut großes Hallo. Zu uns stoßen all die Freund_innen aus dem Rest der Welt. Von unserer Aktion wissen sie noch nichts, hoffen wohl aber, dass wir was im Gepäck haben. Wir feiern unser jährliches Wiedersehen. Am nächsten Tag dann – Plenum. Was wollen wir machen? Was für Optionen gibt es? Zwanzig Leute, die sich zum Teil nicht einmal kennen, suchen nach der optimalen Castorblockade. Zwei Tage bevor, er rollen soll. Bezugsgruppe? Aktionsgruppe? Das Wendland ist groß, wir sind auf Autos angewiesen. Die Autobesetzungen wechseln ständig, damit auch die Menschen, die für die Hälfte des Tages deine „Bezugsgruppe“ sind. Die andere Hälfte: wieder jemand Neues an deiner Seite. Klar, auch ein guter Freund, freue mich, neben dir zu laufen. Aber wer ist nun in meiner Bezugsgruppe? Wir müssen uns wohl mal festlegen, nur noch eine Nacht schlafen und er rollt. Die Autositzplätze geben die Bezugsgruppengröße vor. Plenum. Wir sortieren uns also. Wer macht welche Aktion? Wer übernimmt welchen Job?

Unsere Aktion steht, die Konstruktion wartet, wir brauchen nur noch Leute, die mitmachen. Wo sind die Leute, mit denen ich all das zusammen geplant habe? Der eine sitzt dort drüben in der Ecke und packt seine Sachen, die andere verabschiedet sich gerade. Sie hat Freund_innen getroffen und will jetzt mit denen etwas machen. Was genau? „Ach, wird sich schon zeigen“ die Antwort. Ich werde sie in der Nacht wieder treffen, irgendwo bei einer Blockade. Bei einer Blockade von vielen, die wir in dieser Nacht besucht haben. Blockade-hopping. Wie Sylvesterfeiern in Berlin. Doch halt: wir waren bei der Bezugsgruppenfindung stehen geblieben! Eine Nacht, bevor der Castor rollt. Meine Bezugsgruppe überrascht mich in ihrer Besetzung. Zwei Leute von fünf kenne ich kaum. Was soll’s. Bin traurig, hätte doch auch so gerne M. in meiner Bezugsgruppe gehabt. Und ihn dort drüben auch. Bin ernüchtert. Aber wir wollen ja die Aktion machen, die Leute, die jetzt in meiner Bezugsgruppe sind, wollen auch die Aktion machen. Da haben wir unser Verbindungselement, dass schweißt doch zusammen, oder? Aber Zweifel gibt es trotzdem noch. So richtig überzeugt sind doch nicht alle. Aber irgendwas müssen wir ja machen. „Na gut, ich komme mit… dir zuliebe.“ Auch Frust, dass all die anderen abgesprungen sind, jetzt was anderes machen. Egal jetzt. Wir werden ja irgendwann ein Nachbereitungstreffen machen, da können wir es dann besprechen, jetzt nicht. Gefrustet bin ich trotzdem. Manch eineR bekommt es auch zu spüren. Ach… hätte doch alles so schön sein können. Dann ist es plötzlich klar. Unsere Aktion können wir nicht machen, der Aktionsort ist verbrannt. Wie begossene Pudel stehen wir da. Wissen nichts mit uns anzufangen. Irgendwie sinnentleert unsere Aktionsnacht. Was verbindet uns jetzt noch? Wir fahren von A nach B und wieder zurück. Überall treffen wir auf Leute, denen es ähnlich erging. Überall haben wir das Gefühl, zu spät zu kommen. Uns fehlt die Motivation, noch richtig was zu „reißen.“ Erschöpfung. Resignation? Dann zu guter Letzt ein stundenlanges Warten im Wald. Warten darauf, dass er vorbei rollt und wir ihm vor die Räder springen können. Als es dann so weit ist, schläft die Hälfte und verpasst das „GO.“ Die andere Hälfte rennt wie wild darauf los. Alle in unterschiedliche Richtungen, alle sind alleine, niemand traut sich auf die Strasse. Die Bezugsgruppe im Rücken fehlt. Die Bezugsgruppe, die mit losstürmt. Zu fünft hätten wir es geschafft, aber alleine? Ich hebe mir diesen Gedanken auf für das Nachtreffen. Jetzt falle ich erstmal ernüchtert und todmüde auf meine Isomatte. Träume von einer Bezugsgruppe, die weiß was sie will. Die weiß was sie will, auch wenn die eigentlich geplante Aktion nicht klappt. Die weiß, dass sie etwas zusammen machen will. Nächstes Jahr?

Anregungen für das Gründen einer Bezugsgruppe

Ein Rezept für 5-16 Personen oder: „Gibt es einen Baukasten für Bezugsgruppen?“

In diesem Kapitel geht es um die Frage: „wie kannst Du/ könnt Ihr eine Gruppe finden?” Du kannst

Dich erstmal in Deinem Freundeskreis umhören, wer noch hinfahren möchte. Wenn Ihr von einander wisst, ist es gut, sich zu treffen und sich darüber auszutauschen. Ihr solltet klären, was euch bewegt, dorthin zu fahren und was ihr für Ideen habt und was jede_r von euch dort tun möchte, da ihr erstmal wissen müsst, ob das zusammenpasst. Wenn bei dem Treffen klar wird, dass Ihr ganz unterschiedliche Ideen habt, z.B. von „ich will da zur Demo“ bis „ich will da Camp-Struktur machen“- ist das nicht die beste Voraussetzung. Aber das bedeutet nicht unbedingt, dass das gar nicht funktionieren kann. Vielleicht kommt ihr doch zusammen und könnt ein Konzept entwickeln, in dem sich alle wiederfinden. Gut ist auch, sich die Frage zu stellen: Wieso will ich das und nicht jenes machen? Dabei kann sich evtl. der Blickwinkel ändern und mensch kann dadurch offen werden was anderes auszuprobieren. Vorweg gleich mal: es gibt „zum Glück“ nicht den einzigen Weg, wie eine Bezugsgruppe entsteht. Mensch kann schon sagen, dass viele Bezugsgruppen aus WG´s oder offenen Politzusammenhängen entstanden sind. Aber es können auch einfach Freundeskreise, Schüler_innen die sich kennen, Studis, die merken, dass sie ja eh immer auf die gleichen Demos rennen, oder oder oder sein.

sich vorbereiten

Wenn ihr zu dem Punkt gekommen seid „cool, das klingt doch ganz gut, lass es uns einfach versuchen“, ist es sinnvoll, sich regelmäßig zu treffen. Wie oft, ist natürlich eure Sache. Das kann von Sich-wöchentlich-treffen bis Sich-im-Vorfeld-zweimal-ein-langes-Wochenende-nehmen sein. Das ist auch davon abhängig, was ihr vorhabt und wie gut ihr euch kennt. Aber lieber etwas zu oft treffen, als dass es nachher dann heißt „Wir hatten gar keine Zeit das zu besprechen“…

Und so sind wir auch beim wichtigsten „Werkzeug“! Was so gesehen auch kein greifbares ist, nämlich reden und zuhören. Das klingt so schön banal, ist es auch, irgendwie. Die meisten Gruppen, die wir kennen, fangen ihre Treffen mit einer „wie geht es mir gerade/ Emorunde“ (Glossar) an, einfach eine kurze Runde zum Stand der persönlichen Dinge. Es muss nicht jede_r was sagen, aber es kann auch ein Ort während des Treffens sein, um sagen zu können, warum mensch gute oder schlechte Laune hat, was ihr/ ihm vom letzten Mal noch im Magen liegt oder was mensch gerne einfach allen mitteilen möchte. Danach kann mensch vielleicht besser verstehen, warum xy in der Diskussion schnell gereizt ist oder auch alles total leicht sieht, da eh alles gerade bei xx gut läuft.

miteinander reden – und wie?

Um mit dem Werkzeug „Reden und Zuhören“ gut umgehen zu können, braucht mensch meistens noch viel Übung. Klar hat jede_r eine Stimme und kann irgendwie zuhören, aber die einen können gut reden (manchmal auch ohne wirklich etwas zu sagen) und die anderen hören dass, was sie wollen. Das klingt ziemlich böse und wollen wir auch erstmal keiner/m unterstellen! Oft sind es soziale und gesellschaftliche Rollen, die wir so gelernt haben: in der Schule, als Kind, in der Beziehung zu Freund_innen oder auf der Arbeit. Aber es ist nicht „nicht veränderbar“, es ist Teil unserer Utopie, dass wir als Menschen innerhalb einer Gruppe wachsen und uns gegenseitig weiterbringen. Dafür muss mit den gesellschaftlichen Rollen auch umgegangen werden, das Thema heißt dann hier Redeverhalten. Es ist gut, sich darüber einmal Gedanken zu machen. „Wo fällt yx immer wem anders ins Wort/ wie bekommen wir das hin, dass alle was dazu sagen/ was steht dahinter, dass ich immer so lange rede oder xy immer sofort auf alles was sagen muss“. Das Thema ist sehr komplex und hat viele Seiten. Aber es ist gut, sich zumindest auf „Basics“ zu einigen wie: ausreden lassen und/oder bei kontroversen Diskussionen jede_n zu Wort kommen zu lassen. Auch stummes Kommentieren, z.B. immer nicken, wenn es einer passt, immer was in die Hand nehmen und lesen, wenn wer anders was sagt, sind Formen von dominieren und sich immer wieder den Raum nehmen und ihn damit den anderen wegnehmen.

ablauf der treffen

Wie ihr das/die Treffen gestaltet, ist ganz eure Sache. Ihr müsst einfach sehen, wie strukturiert Ihr es braucht. Ob es ohne Redeleitung oder Tagesordnung geht, hängt oft von der Gruppengröße ab und davon, was Ihr machen wollt – aber es ist gut, auch mal zu experimentieren. In Bezugsgruppen ist es unserer Meinung nach wichtig, im Konsens zu entscheiden, was nicht heißt, das immer alles bis ins letzte diskutiert werden muss und dass alle alles richtig finden. Innerhalb der Bezugsgruppe sollte ein Großteil beschlossen werden und die anderen sollten damit einverstanden sein. Falls wer sagt „das geht nicht“ und vom Vetorecht Gebrauch macht, muss das zu Gehör kommen und ein Umgang damit gefunden werden. Aber sich innerhalb einer Bezugsgruppe an Mehrheitsentscheidung zu orientieren, hat nichts mit gleichberechtigter Beteiligung zu tun. Zu Entscheidungsfindungsprozessen gibt es in dem Heft auch noch extra Tipps. Kleiner Nachtrag noch: oft wird in Bezugsgruppen über Männer- / Frauenquote geredet. Tja, was sollen wir dazu schreiben? Wie so oft haben wir keine Lösung, aber ein paar Fragen können wir aufwerfen: Was macht die Gruppe aus, wenn sie nur aus Männern oder Frauen besteht? Warum sollte dann eine Frau bei Männern mitmachen oder ein Mann bei einer Frauengruppe? Wenn es für alle okay ist, warum nicht. Aber trotz großer Ansprüche wissen wir, wie anstrengend und nervenaufreibend das für die jeweilige „Minderheit“ ist.